Menschen sind faul. Körperliche Anstrengungen sind meist nicht so ihr Fall. Alles, was irgendwie anstrengend ist, wird seit Jahrzehnten und Jahrhunderten an die Technologie outgesourced. Mit Kusshand! Die künstliche Intelligenz erweitert die Möglichkeiten jetzt gewaltig. Die Möglichkeiten, faul zu sein, meine ich – und dem eigenen Körper und Geist damit keinen Gefallen zu tun.
Natürlich sind Menschen nicht einfach nur faul. Technologie entlastet den menschlichen Körper, und das ist an vielen Stellen auch sehr nötig. Sicher kann der Mensch auch ohne Technologie große Ziele erreichen, zumindest in großen Gruppen. Als Beispiel sollen hier die Pyramiden stehen. Doch auch das Zusammenspiel tausender Hände verhindert nicht die Qualen und Gefahren für das einzelne Individuum. Technologie kann dem Menschen hier helfend und schützend zur Seite stehen.
Genau dasselbe wird heute speziell über die künstliche Intelligenz gesagt: „Sie wird uns an vielen Stellen entlasten.“ Doch bevor ich in folgenden Kapiteln darauf eingehe, möchte ich an dieser Stelle über die Faulheit sprechen – insbesondere die körperliche Bequemlichkeit.
Das Leben der frühen Menschen war sicher kein Picknick. Es war gekennzeichnet vom Kampf um Ressourcen. Um die Nahrung natürlich, doch als Tier ohne Fell und Federn brauchte der Mensch seit jeher auch Kleidung und eine Unterkunft. All das gibt die Natur aber nicht ohne Kampf, und so war das Leben ein mühsames und gefährliches Abplagen. Sesshaftigkeit und Ackerbau brachten mehr Versorgungssicherheit, aber keine Arbeitserleichterung, vielleicht sogar im Gegenteil. Mit einfachsten Werkzeugen und reiner Muskelkraft wurden die Felder bestellt und abgeerntet. Hunderte von Menschen mussten sich auf jedem Feld die Knochen kaputtmalochen.
Wind- und Wassermühlen haben das harte Leben der Menschen irgendwann etwas einfacher gemacht. Sie dienten als Muskelersatz, genau wie später die Dampfmaschinen und noch etwas später die Verbrennungs- und Elektromotoren. Heute verrichtet die Arbeit auf einem Feld noch ein einzelner Bauer oder eine Bäuerin auf einem riesigen Traktor. Die eigentliche Arbeit verrichtet der Diesel. Wenn das keine Entlastung ist!
„Im Maße liegt die Ordnung. Jedes Zuviel und Zuwenig setzt anstelle von Gesundheit die Krankheit.“
Sebastian Kneipp, (1821 - 1897)
Doch bei der Entlastung ist es nicht geblieben. Die vielen Menschen, die damals auf dem Feld schufteten, arbeiten heute in anderen Branchen, vielleicht in der Traktor-Industrie. Dort arbeiten sie sich nicht kaputt wie damals, jedenfalls nicht auf dieselbe Weise – wirklich gesund sind aber auch sie nicht.
Was ich meine, ist dies: Es gibt für alles ein gesundes Mittelmaß. Feldarbeit über viele Stunden hinweg unter harten Bedingungen ist zu belastend, als dass man dabei auf Dauer gesund und zufrieden bleiben könnte. Täglich stundenlang auf einem Bürostuhl zu sitzen, überlastet den Menschen aber auch, nur eben auf andere Weise. Die Folgen aber sind dieselben: Früher der Bandscheibenvorfall durch zu harte Belastung, heute der Bandscheibenvorfall durch einseitige Haltung und einen zu schwachen Rücken. Der Traktor befreit uns nicht nur von der Übermäßigkeit körperlicher Feldarbeit, er sorgt auch dafür, dass wir überhaupt nicht mehr körperlich arbeiten. Jedenfalls nicht auf dem Feld. Körperliche Arbeit aber stärkt den Rücken!
Die AOK nennt an erster Stelle die folgenden beiden Punkte als Vorsorge für einen gesunden Rücken:
Unter dem ersten Punkt schreibt sie:
„Durch Gehen und Laufen bleiben die Bandscheiben in Bewegung und erhalten die notwendigen Nährstoffe. Durch Bewegungsmangel leidet die Bandscheibe eher an einem Nährstoffmangel und kann spröde werden.“
Der Mensch braucht Entlastung von zu harter körperlicher Arbeit. Er wünscht sich Hilfen, die seine Überlastung verhindern. Das ist sinnvoll, nicht nur bei der Feldarbeit. Doch dann kommt die gewünschte Hilfe tatsächlich und der Mensch schießt über das Ziel hinaus. Er ist nicht zufrieden mit einer Entlastung, mit einer Reduzierung seiner Belastung auf ein gesundes Maß. Stattdessen fragt er sich: „Warum überhaupt noch körperlich arbeiten?“ Und so sitzt er dann den ganzen Tag über auf einem Stuhl. Er schwitzt nicht mehr, hat keinen Muskelkater mehr, ist nicht mehr erschöpft, wenn er am Abend nach Hause kommt. Er freut sich. Sein Körper aber leidet.
Es ist spannend, sich einmal bewusst umzuschauen und all die Entlastungen zu entdecken, die uns heute zuarbeiten, die vielen Motoren und Motörchen, die uns schon seit langem umgeben und uns die Bewegungslosigkeit ermöglichen. An erster Stelle stehen sicher die Transportmittel, die heute mit Motoren nur so vollgestopft sind, nicht nur den Antriebsmotoren – wir kurbeln ja nicht einmal mehr das Seitenfenster mit Muskelkraft hoch oder runter. Oder machen die Heckklappe zu.
Bereit für weitere Beispiele?
Viele dieser Punkte werden wohl schnell als übertrieben angesehen. Wer will sich schon unnütz abmühen oder als ewig gestrig angesehen werden. Ich selbst musste mich geradezu vor meinen Umzugshelfern rechtfertigen, als ich mein Bett ohne Akkuschrauber zusammengebaut habe. Ein Nachbar fragte einmal, warum ich meine Wäsche zu Fuß die Treppe hinaufschleppte, anstatt den Aufzug zu benutzen. Als ich ihm sagte, dass ich diesen Weg als willkommene Fitnessübung ansehe, zuckte er nur unverständig mit den Schultern. Für das, was ich hier schreibe, finde ich überhaupt nur selten Verständnis.
Auch ich verwende übrigens Akkuschrauber. Auch ich fahre mit dem Aufzug. Dann und wann, nämlich wenn mich der Vorgang ansonsten überfordern würde – etwa, wenn ich noch etwa 150 Schrauben vor mir habe oder kränklich in den vierten Stock muss. Entlastung durch Technologie ist etwas Gutes, sich völlig in die Arme der technischen Helferlein fallenzulassen aber nicht.
Ein letztes Beispiel in diesem Absatz: Mein Vater hat in den 80er- und 90er-Jahren an jedem Abend die Zentralheizung auf Nachtbetrieb umgestellt, morgens dann wieder zurück. Eine Automatik gab es damals nicht, aus Preisgründen sicherlich, aber auch, weil mein Vater einfach keinen Grund dafür sah. Stattdessen war diese Aufgabe einer von vielen kleinen Bausteinen, die ihn fit hielten, körperlich (Treppe steigen) wie geistig (an eine Aufgabe denken und die Haustechnik im Blick haben). Das mögen viele Leserinnen und Leser als überflüssig und altmodisch belächeln (ist ja auch bald ein halbes Jahrhundert her) – ich dagegen halte es für wichtig, denn wie sinnvoll solch „überflüssiges“ Bemühen ist, bestimmen nicht wir Menschen, sondern die Physik und unsere Biologie.
All die genannten Beispiele können einen Beitrag dazu leisten, dass ein Mensch gesund bleibt durch kleine, vielleicht altmodisch anmutende Tätigkeiten, die weder überfordern noch herabwürdigen. Viele von ihnen kosten Zeit, zugegeben. Mit den Jahren wegen Unterforderung immer schwächer zu werden aber erst recht. Oder im Fitnessstudio zu ackern.
„Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheiten brauchen.“
Sebastian Kneipp, (1821 - 1897)
Ich will das Thema Zeit an dieser Stelle nicht kleinreden. Es ist ein Problem, dass unsere Alltagsstruktur sich auf die genannten technischen Helferlein verlässt und die resultierende Zeitersparnis fest einplant. Ich bin mir bewusst, dass in vielen Tagesabläufen keine Zeit bleibt, um zu Fuß einkaufen zu gehen. Doch leider gilt, was ich oben schrieb: Nicht wir Menschen bestimmen, sondern die Physik und unsere Biologie. Wer also gesund bleiben will, muss evtl. seine Lebensweise überdenken. Nichts anderes besagt Sebastian Kneipps Aufrechnen von Gesundheits-Zeit gegen Krankheits-Zeit.
Allen Menschen, die körperlich unterfordert sind, kann ich gemeinsam mit Herrn Kneipp nur ans Herz legen, sich viel zu bewegen. Das kostet Zeit, das ist nicht zu ändern. Aber es gibt viele der o.g. Ideen und Bausteine, und noch viel mehr, als ich hier anführe. Und einige von ihnen ermöglichen es, an anderer Stelle Zeit einzusparen. Diese Möglichkeiten muss jeder oder jede für sich selbst finden und in den eigenen Alltag einbauen, das kann niemand von außen. Ich kann hier nur ein Bewusstsein erzeugen und ein paar Hinweise geben.
Noch einmal möchte ich kurz zur Rückengesundheit zurück: Ich war immer schon ein Mensch mit Rückenproblemen, seit meiner Jugendzeit kenne ich den Schmerz in der Lendenwirbelsäule. Von Beruf bin ich heute aber Veranstaltungstechniker. Bei meiner Tätigkeit gibt es viel schweres Material zu rollen, zu schleppen oder zu heben. Das ist anstrengend für den Rücken. Meine Beobachtung ist die: In Zeiten großer Belastung mit vielen Veranstaltungen pro Woche kommt mein Rücken irgendwann an seine Grenzen und beginnt zu schmerzen. Habe ich dagegen mal zwei Wochen lang gar keine Arbeit, beginnt er aber auch zu schmerzen. Die meisten Rückenprobleme habe ich tatsächlich in Flautenzeiten, wenn ich recht entspannt im o.g. Sessel sitze und Texte wie diesen schreibe. Für meinen Rücken gibt es offensichtlich ein Optimum der Belastung. Zu viel ist zu viel, zu wenig lässt ihn genauso leiden. Und schwächer werden, denn nach einer gar nicht mal so langen Pausenzeit wird schon ein Wasserkasten zu einer übermäßigen Belastung. Ich verhebe mich leicht in solchen Zeiten, während ich in maßvoll arbeitsreichen Zeiten keinerlei Rückenprobleme habe. Es ist mein Rücken, der das Optimum bestimmt, die Physik, die Biologie, nicht ich! Wo liegt dieses Optimum? Selbst für einen nicht athletischen Menschen wie mich liegt das Optimum bei einer durchaus hohen Belastung, aber mit ausreichend Erholungszeit und einer gewissen Achtsamkeit! Der Rücken will gefordert werden, und das ist verbunden mit Schweiß, Muskelkater und Erschöpfung am Abend.
Ganz oben habe ich frech behauptet, der Mensch sei faul. Ich weiß, wovon ich spreche, denn auch ich bin ein Mensch. Wenn ich gemütlich im Sessel sitze, möchte ich nicht aufstehen und eine Arbeit verrichten. Es gibt die Zeiten, in denen ich gerne arbeite, doch ich kenne auch das Streben nach Bequemlichkeit. Es gilt, das richtige Maß zu finden zwischen Arbeit und Ruhe. Nach meinen Beobachtungen überwiegt bei Erwachsenen aber nur selten der Drang nach körperlicher Betätigung. Meist sind es doch Vernunftgründe, die uns an den Arbeitsplatz, auf die Laufstrecke oder ins Fitnessstudio treiben. Ausnahmen mögen die Regel bestätigen :-)
Für meine Begriffe schonen sich moderne Menschen viel zu sehr. Sie verbringen – gerne – den Tag in körperlicher Inaktivität, sei es auf dem Bürostuhl, wo maximal Kopf und Arme bewegt werden müssen, sei es im Auto, stehend im Stau der Innenstadt (vielleicht auf dem Weg ins Fitnessstudio?). Übermäßige Feldarbeit macht unseren Körper nicht mehr kaputt. Heute ist es die Untätigkeit. Wir ignorieren das richtige Maß, was die körperliche Belastung angeht, aus Bequemlichkeit. Das meine ich mit faul.
Ich liebe die Maßhaltigkeit. Technik so einzusetzen, dass sie den Menschen hilft, anstatt ihnen letztlich zu schaden, das halte ich für sinnvoll. Ich beziehe das auf alle bisherigen, nicht intelligenten Technologien, aber auch und auf dieser Website insbesondere auf die KI. Um dies zu betonen, habe ich dieses kleine Kapitel über die körperliche Gesundheit hier eingefügt.
Dass sich die Menschen zukünftig genau überlegen, welche Technik ihnen welche Mühe abnehmen soll und welche Mühe sie besser selbst durchstehen – davon träume ich.
PS: Auch heute noch gibt es Menschen, die in ihrem Beruf körperlich ge- und überfordert werden, in Handwerk (vielleicht nicht gerade Goldschmiede), Bau und Krankenpflege zum Beispiel. Für Personen in diesen Branchen gelten sicher andere Empfehlungen als für das Heer der sitzenden Angestellten. Jene sollten nach Feierabend vielleicht einfach gemütlich im Sessel sitzen und die Füße hochlegen :-)
Außerdem bin ich mir bewusst, dass nicht alle Menschen in gleichem Maße gesund sind. Es gibt Beschwerden, bei denen ausgiebige körperliche Betätigung schädlich ist. Jeder und jede muss das eigene Bewegungs-Optimum finden. Und untrainierte Personen sollten langfristig denken und es behutsam angehen lassen.
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