Beziehungen

Der Mensch lebt in unzähligen Beziehungen: Freundschaften, Familie, Lebens(abschnitts)partnerschaften, Arbeitsumfeld, Nachbarschaft – die Menschen im eigenen Umfeld bestimmen mit, wie sich eine Person entwickelt und wie sie sich fühlt. Auch Tiere können Menschen prägen und ihnen ein wohliges oder unangenehmes Miteinander bieten. Und wer will behaupten, dass Menschen nicht auch zu Pflanzen oder Dingen tiefe Beziehungen aufbauen können? Oder zu künstlicher Intelligenz.

Liebende – Mensch und Roboter

Nicht jeder und jede sehnt sich nach Beziehungen. Viele leben gern allein und halten einzig den Kontakt zu den eigenen Gedanken. Andere verkümmern ohne ein Gegenüber. Manche können besser mit Tieren als mit Menschen, wieder andere haben genau einen besten und einzigen Freund, während „die Coolen“ über einen ganzen Pool verfügen. Einige stehen treu zu ihren Liebsten, andere wechseln die Bezugspersonen wie ihr Hemd. Und – nur ein Stückchen in die Zukunft geschaut – nicht Wenige werden demnächst an der Seite eines Roboters durch die Welt gehen oder – heute bereits völlig normal – wenden sich vertrauensvoll an eine künstliche Intelligenz, um ihr Herz auszuschütten oder Rat zu finden. KI dringt in den Bereich der Beziehungen vor. Künstliche Intellienz kann Menschen geben, was andere Menschen oft nicht können. Doch der Reihe nach …

Intro- und Extroversion

Menschen, die Beziehungen meiden, und solche, die sie suchen, dürfen nicht verwechselt werden mit Introvertierten und Extrovertierten. Zwar haben introvertierte Menschen im Schnitt sicher weniger Beziehungen als extrovertierte, doch sagt dies nichts über die tatsächlichen Bedürfnisse aus. Einem introvertierten, also in sich gekehrten Menschen fällt es schwer, die nötigen Schritte zu gehen, um sich einer anderen Person anzunähern. Auf jemanden zugehen, ansprechen, Smalltalk – all dies sind hilfreiche Bausteine einer Kontaktaufnahme, die Introvertierten nicht liegen. So bleibt bei ihnen der Wunsch nach Beziehungen oft unerfüllt – und hier meine ich nicht nur die Partnersuche, sondern auch einfache Freundschaften oder „soziale Beziehungen“. Introvertierte sind einsamer als Extrovertierte, aber nicht immer freiwillig. Auch umgekehrt kann es schwierig werden: So könnte es sein, dass ein extrovertierter Mensch, der sich gern mitteilt, keine nähere Beziehung zu seinem Gegenüber haben möchte. Vielleicht hat er schlechte Erfahrungen gemacht und ist vorsichtig geworden. Vielleicht redet er zwar gern, hört aber nicht gern zu. Er sehnt sich vielleicht nach Austausch, aber eher in Form verbaler One-Night-Stands und ohne jede Gefahr, dass das Gegenüber mehr will.

Zugegeben, der letzte Gedanke scheint ein wenig aus der Luft gegriffen. Doch soll er den Blick dafür schärfen, dass Mitteilungsbedürfnis und Beziehungsfülle oder gar -tiefe nicht dasselbe sind. Während die Zahl der Beziehungen oft mit dem Maß der Extroversion korrelliert, könnte es bei der Tiefe der Beziehungen umgekehrt sein. Stille Wasser sind tief, sagt man, dann sind es stille Beziehungen vielleicht auch; dies ist allerdings nur eine Theorie, die ich hier ohne jeden Beweis anführe.

Extrovertiert einen Raum betreten
Extrovertiert einen Raum betreten
Introvertiert einen Raum betreten
Introvertiert einen Raum betreten

Doch grundsätzlich gibt es diese zwei Extremtypen von Menschen: Die einen betreten einen Raum, breiten die Arme aus und rufen: „Tadaaa!“ Die Blicke richten sich auf sie, Gespräche verstummen und die Gesellschaft gehört quasi ihnen. Mit all ihrem Tun vereinnahmen sie die Aufmerksamkeit der anderen. In einer Sekunde knüpfen sie Beziehungen zu vielen Menschen gleichzeitig. Wie intensiv sich diese Beziehungen weiterentwickeln, sei dahingestellt, doch der Anfang ist gemacht mit vielen Ankerpunkten für mehr. Oft machen diese Menschen sich interessant genug, dass tatsächlich mehr entsteht. Extrovertierte haben einen leichten Start. Introvertierte, die einen Raum betreten, wird man kaum bemerken. Auch wenn sie wieder gehen, werden das nicht Viele registrieren. Später wird man sich fragen: „War Friederike eigentlich auch da?“ Ja, sie war anwesend, hat aber keinen Eindruck hinterlassen. Faktisch war sie also doch nicht anwesend. Eine Beziehung zu knüpfen bedeutet auf diese Weise natürlich deutlich mehr Anstrengungen. Doch was bedeutet es überhaupt, einen Eindruck zu hinterlassen? Einen Eindruck wo hinein?

Sinne

Schon in verschiedenen Kapiteln habe ich hier über die Sinne geschrieben. Sie bestimmen unsere Wirklichkeit, unser Bild von der Welt. Auch für Beziehungen sind sie somit essenziell. Ohne Sinne gäbe es keinerlei Beziehungen. Sie sind die Kanäle, auf denen Beziehungen funken. Wären wir Sinn-los, wüssten wir ja nicht einmal voneinander.

An unseren Beziehungen können alle Sinne beteiligt sein. „Ich kann ihn einfach nicht riechen“, ist ein Satz, der davon zeugt, dass auch unterschätzte Sinne maßgeblich sind für eine Beziehung. Und all diese Sinne sind es, in die es einen Eindruck zu hinterlassen gilt, wenn man auf eine Beziehung aus ist. Ohne einen solchen Eindruck schafft man keine neue Wirklichkeit.

Tatsächlich aber beschränken wir die zulässigen Funkkanäle je nach Situation. Das Schmecken ist der intimen Beziehung vorbehalten, die ganze Fülle des Fühlens wohl auch; ein Händedruck ist das einzig öffentlich zulässige Funksignal auf dem Fühl-Kanal. Auch das Riechen verstecken wir gerne hinter einer Art Störfeuer: dem Parfüm. Somit bleiben das Sehen und das Hören als erste Kommunikationskanäle einer Beziehung. Die „Liebe auf den ersten Blick“ zeugt vom Sehen, der wichtige erste Eindruck ist oft ein optischer. Der meiste Funkverkehr findet aber dann auf dem akustischen Kanal statt. Es ist das Reden, die Sprache, die all unsere Beziehungen begleitet und vertieft. Zumindest bei uns Menschen.

Tiere und andere Nicht-Menschen

„Von allen Tieren ist er [der Hund] der Treueste: Er ist der beste Freund, den der Mensch haben kann.“

Voltaire, Œuvres complètes de Voltaire: Dictionnaire philosophique

„Der Hund ist der beste Freund des Menschen, weil er ihn liebt, selbst wenn er schlecht gelaunt, ungeduscht oder voller Chipskrümel ist. Außerdem beschützt er ihn vor Briefträgern.“

ChatGPT

Ja, der Hund ist der beste Freund des Menschen. Wer etwas anderes behauptet, lenkt millionenfachen Zorn aller Hundehalter auf sich. Hunde bieten viele Qualitäten, die sie zu guten Freunden machen:

  • Treue: Hunde sind fixiert auf ihre Bezugsperon(en). Sie sind loyal und ihre Liebe scheint unzerstörbar. Ganz so, wie ChatGPT es oben andeutet.
  • Schutz: Hunde können Wachhunde sein. Sie verteidigen Haus und Hof und nicht zuletzt den Menschen an ihrer Seite.
  • Wahrhaftigkeit: Es gibt wohl auch „falsche Hunde“, doch im Verhältnis zu Herrchen oder Frauchen sind Hunde sehr wahrhaftig. Sie haben nichts Falsches an sich, können sich kaum verstellen und tragen stets ihr Herz nach außen.
  • Spaß: Wer sich einlässt auf seinen Hund, kann viel Spaß mit ihm haben. Gemeinsam die Natur genießen, herumtollen und spielen – alles Freuden, die man mit einem Hund erleben kann.
  • Körperlichkeit: Hunde lieben körperliche Nähe. Kuscheln, schmusen, streicheln, lecken – in Sachen Zärtlichkeit und Hingabe sind sie wahre Meister und können kaum genug bekommen.

Mit dieser kleinen Liste sind einige Punkte genannt, die – außerhalb der Sprache – bedeutende Säulen einer Beziehung sein können. Sie alle bilden auch für rein menschliche Beziehungen die Fundamente, doch ermöglichen sie auch solche zu Tieren, Pflanzen oder Dingen. Die Hunde habe ich schon genannt, aber andere Tierarten sind ebenfalls beziehungsfähig; Vögel, Pferde und Katzen sind nur einige populäre Beispiele. Und es soll auch Menschen geben, die ihre Pflanzen lieben und mit ihnen reden.

Und wie ist es mit Dingen? Wer hat als Kind nicht irgendein Stofftier gehabt, nein: geliebt? Die Hingabe, mit denen manch junger Mensch Puppen oder Kuscheltiere hegt und pflegt, deuten auf eine tiefe Beziehung hin. Alle Punkte der obigen Liste werden durch solche Dinge in irgendeiner Form erfüllt. Selbst einfachere Spielzeuge sind dazu in der Lage. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Der Mensch ist es, der in der Lage ist, vielfältige Beziehungen zu Dingen aufzubauen.

Auch zu künstlicher Intelligenz? Warum nicht? Noch fehlt ihr das Körperliche, doch Treue, Wahrhaftigkeit und Spaß kann man durchaus mit ihr erleben. Und was bei der KI wesentlich hinzukommt, ist neben der Sprache auch die (vermeintliche oder tatsächliche) Intelligenz. Heute schon gibt es Menschen, die tiefste Gespräche mit ChatBots führen und darüber eine große Nähe und Vertrautheit zu ihnen empfinden. Man kann noch so sehr behaupten, dass KI niemals eine Seele haben wird – ihren Wert als Beziehungs-Gegenüber kann man nicht leugnen. Oder kann man doch? Es wird höchste Zeit, den Begriff Beziehung näher zu untersuchen.

Wortbedeutung

„Eine soziale Beziehung definiert sich in der Soziologie als eine Beziehung zwischen zwei oder mehr Menschen, bei welcher das Denken, Handeln oder Fühlen aufeinander bezogen ist.“

Die Rolle von sozialen Kontakten, BSG Bildungsinstitut, auch bei Wikipedia

Diese Definition klingt plausibel, bleibt aber seltsam unkonkret. Was heißt denn: „aufeinander bezogen ist“? Oh, fällt mir auf, ich hätte einfach weiter zitieren sollen:

„Das bedeutet; diese Gruppe aus zwei oder mehr Menschen denkt über den jeweils anderen nach, handelt diesem gegenüber besonders oder hegt bestimmte Gefühle dem Gegenüber.“

ebenda, aber nicht bei Wikipedia

Ja, das macht es schon deutlicher. Eine Beziehung zu jemandem habe ich dann, wenn er oder sie mich in Gedanken beschäftigt und/oder meine Taten beeinflusst. Und umgekehrt! Dieses „und umgekehrt“ lese ich zumindest aus diesem Zitat („… über den jeweils anderen …“). Eine einseitige Beeinflussung, etwa durch einen Star oder Influencer, der mich beeindruckt, der mich aber gar nicht kennt, könnte demnach nicht eine soziale Beziehung genannt werden. Und somit wäre auch die Liebe zu einem Kuscheltier keine soziale Beziehung, denn das Kuscheltier wird durch mich nicht beeinflusst (außer, dass es nach und nach zerfleddert).

Ich habe mich allerdings entschieden, auch die einseitige Beziehung eine soziale Beziehung zu nennen und komme zu folgendem Schluss:

Menschen lassen sich von anderen Menschen, von Tieren sowie von dummen, aber auch von künstlich intelligenten Dingen beeinflussen, und zwar in ihrem Denken, Fühlen und Handeln. Dies kennzeichnet eine soziale Beziehung.

Der Regenwurm Max

In der neunten Folge der Fernsehserie „Die Biene Maja“ aus dem Jahre 1975 sucht der Regenwurm Max nach Freunden. „Ich würd so gern mit jemandem spielen“, sagt er. Maja und Willi vermitteln ihm daraufhin Freunde. Diese fragen ihn als erstes: „Was kann man denn mit dir anfangen?“ Max macht ihnen einige Vorschläge, was man spielen könnte, doch sind die Insekten und der Wurm nicht kompatibel genug, um gemeinsam Spaß haben zu können. Daraufhin wenden sich die Wiesenbewohner wieder ab von Max. Als Maja und Willi erkennen, wie nützlich Regenwürmer für einen Garten sind, ist Max mit ihrer Anerkennung zufrieden und auch ohne Freunde glücklich.

Warum erzähle ich hier diese Episode nach? Weil sie deutlich macht, dass Beziehungen aus Geben und Nehmen bestehen. Eine Beziehung, in der eine Seite mehr gibt als nimmt, könnte man als schräg bezeichnen oder als unsymmetrisch. Es ist fraglich, wie lange eine solche Beziehung bestehen bleibt. Auf der Blumenwiese haben sich die Insekten von Max abgewandt, weil es nichts gab, was sie von ihm hätten bekommen können.

Symmetrie

„Wenn zwei Menschen sich für länger zusammentun wollen, fischen sie dazu meist unbewusst in der eigenen Liga.“

Warum ein (nicht ganz so) attraktiver Partner glücklicher macht, Beziehungsweise-Magazin

Für die Haltbarkeit einer Beziehung – sei es nun die soziale Beziehung allgemein oder die exklusive parnerschaftliche und intime Beziehung – ist die Symmetrie nicht unerheblich. Nur wenn beide Seiten zufrieden sind, werden sie einander zugewandt bleiben. Es mag erschreckend klingen, aber die altruistisch einseitige Beziehung aus reiner Nächstenliebe scheint mir eher die Ausnahme zu sein, und auch Die Schöne und das Biest ist in erster Linie ein romantisches Musical. Außerhalb dieser Fiktion werden Freundschaften nur selten standesübergreifend gewählt und finden sich meist auf ähnlichem intellektuellen Niveau. Und in festen Partnerschaften gibt es zusätzlich noch ein weiteres Gleichgewicht, nämlich das der äußeren Attraktivität. Auch hier sind es Geben und Nehmen, die den Ton angeben. Niemand möchte irgendwann das Gefühl haben, er oder sie könnte es in einer anderen Beziehung besser haben oder – etwas bösartiger ausgedrückt – er oder sie habe sich unter Wert verkauft.

Selbstverständlich gibt es demgegenüber auch die bedingungslose Liebe. Sie ist in der Lage, solche Unterschiede zu überwinden, das möchte ich betonen. Unsymmetrische Beziehungen sind nicht zum Scheitern verurteilt. Doch die Regel sind sie nicht. Die Wirklichkeit scheint mir deutlich nüchterner zu sein.

Beziehungsarbeit

Nüchterner im Sinne des ausgeglichenen Gebens und Nehmens. In jeder Partnerschaft muss täglich neu ausgehandelt, ja geradezu miteinander gerungen werden, wer wie viel geben muss und wer wie viel nehmen darf. Wie wird die Hausarbeit aufgeteilt? Wer leistet welche Erziehungsarbeit? Wer darf sich wie lange mal hängen lassen, wer schenkt wann ein Lächeln, wer wann eine Massage? Wie viel Sex ist angebracht und wie findet er statt? Wo nicht gerungen werden muss, ist von vornherein die Einsicht vorhanden, dass die jeweils andere Person nicht übervorteilt werden darf, und die vorauseilende Bereitschaft, dem zu entsprechen. Doch miteinander über Bedürfnisse reden muss man mindestens. Beziehungsarbeit nennt man diese Art der Verhandlungen, die durchaus belastend sein können, wenn sie zu hart geführt werden oder die Ansichten zu weit auseinandergehen. Beziehungsarbeit – ein nüchternes Wort, wo es doch eigentlich um Zuneigung, Freundschaft oder gar Liebe geht.

Viele Menschen wünschen sich Beziehungen auf Augenhöhe. Sie sind bereit, die Beziehungsarbeit zu leisten und dem Gegenüber zu geben, was nötig ist für sein oder ihr persönliches Beziehungs-Glück. Wenn diese Bereitschaft erwidert wird, können solche Beziehungen tatsächlich große Glücksmomente hervorrufen und sehr tragfähig sein. Doch gibt es auch die anderen Menschen. Ein Kommilitone sagte mir einmal, er suche eine Frau, die seinen Haushalt führt und im Bett macht, was er will. Auf meinen Protest hin gab er zu bedenken: „Wieso? Wo ist das Problem? Wenn sie dumm genug ist, das freiwillig zu machen? Ich zwinge ja niemanden!“ Ich war entsetzt. So offen hatte das mir gegenüber noch niemand formuliert. Heute denke ich, er war einer von den Menschen, die ganz egoistisch bekommen wollen, was sie nun mal wollen, die lieber nehmen als geben und jede Beziehungsarbeit zu vermeiden versuchen. Weil Arbeit dem Menschen nun einmal nicht liegt, sie aber gleichzeitig gierig sind.

Nicht-Menschen, die 2te

Und damit komme ich noch einmal zu den Tieren, Pflanzen und Dingen zurück. Eine Beziehung zwischen Mensch und Hund etwa ist in viellerlei Hinsicht unsymmetrisch. Neben allen natürlichen Unterschieden zwischen beiden Spezies ist dies immer eine streng hierarchische Ordnung (wie es in Hunderudeln üblich ist). Es ist der Mensch, der lobt, straft, füttert und führt (wenn es gut läuft). Es ist der Hund, der gehorcht, bettelt und sich zu unterwerfen hat. Die Beziehung zwischen Herrchen und Hund unterscheidet sich nicht sehr von der zwischen Herrn und Sklaven. Nur dass der Mensch erstere blindlings als Freundschaft bezeichnet, wenn nicht gar als gegenseitige Liebe. Das ist zumindest merkwürdig, denn bei dieser Liebe entfällt beinahe die gesamte Beziehungsarbeit (nicht Erziehungsarbeit!). Was der Hund zu erwarten hat, bestimmt allein der Mensch. Er legt die Art und Menge der Nahrung fest, er bestimmt über den Aufenthaltsort, über das Maß der körperlichen Zuwendung und der Sozialkontakte außerhalb der Herrchen-Hund-Beziehung. Der Hund hat sich zu fügen. Und er tut es freiwillig und mit wedelndem Schwanz, weil er – sorry – dumm genug ist. Wo liegt der Unterschied zu der von jenem Kommilitonen ersehnten Beziehung?

So ist es mit den Hunden. Wie ist es mit dem Kuscheltier? Diese Beziehung ist noch unsymmetrischer. Hier muss der Mensch nicht einmal loben oder strafen oder erziehen. Alles geschieht ganz automatisch so, wie der Mensch es will, da muss ich nicht viel drüber schreiben. Doch was ist mit KI?

Künstliche Intelligenz

Die Beziehung zu einer künstlichen Intelligenz setzt den Bemühungen der Menschen, Beziehungsarbeit zu vermeiden, die Krone auf. Ich stelle mir vor, in wenigen Jahren ist eine KI in der Lage, die Freundschaft zu einem anderen Menschen zu toppen. Ich stelle mir vor, sie kann dann verständig mit dem Menschen reden, kluge Antworten geben und noch klügere Fragen stellen, gute Witze machen, über dieselben Dinge philosophieren, Spiele spielen und den ganzen Tag den Menschen erfreuen. Natürlich wird sie für denselben Fußballverein fiebern und dieselbe Weltanschauung teilen. Dies wäre doch das perfekte Gegenüber für den Menschen – eine Beziehung auf Augenhöhe, also ohne die Unsymmetrie wie bei einem Hund.

Roboter-Hund mit Frauchen

Hm, natürlich nicht. Denn diese künstlich intelligente Software würde – genau wie der Hund – tun, was der Mensch will. Wenn nämlich nicht, dann würde der Mensch sich ihr nicht aussetzen. Da könnte er ja gleich einen Menschen als Beziehungspartner wählen. Es ist doch gerade das Ziel, jemanden an der Seite zu haben, der weder widerspricht noch mit eigenen Wünschen das Leben durcheinanderwirbelt. Diese Maschine wäre nichts als ein Sklave. Ein besonders gebildeter Sklave mit täglichen Updates, ausdauernd, preiswert sowie politisch und ethisch völlig korrekt. Was kann es schöneres geben als einen Sklaven, der einen anhimmelt – völlig freiwillig und ohne gezwungen werden zu müssen.

Noch ist dies Zukunftsmusik. Noch weiter in der Zukunft liegt die Möglichkeit, dass dieser künstlichen Intelligenz auch ein künstlicher Körper zu Verfügung steht. Roboter, die den Menschen durchs Leben begleiten, immer dienstbar an seiner Seite, der persönliche Assistent in allen Lebensfragen, einer, der nie schläft und noch seltener widerspricht. Niemand kann mir erzählen, dass es nicht darauf hinauslaufen wird, dass es nicht genau darauf hinauslaufen soll. Wenn die digitale Entwickung so weiterläuft wie zur Zeit, wird dies der Punkt sein, an dem wir uns in zehn oder zwanzig Jahren befinden werden: Jeder (zahlungskräftige) Mensch hat einen persönlichen Roboter-Vertrauten, so wie heute ein Smartphone. Doch bevor es so weit ist, haben wir schon mal klein angfangen: mit Social Media.

Social Media

Neben allem anderen, für das Social Media geschaffen wurde, ist das Sparen von Beziehungsarbeit eine der wesentlichen Triebfedern. Social Media ermöglicht es uns, mit Unseresgleichen zusammenzutreffen, also mit Menschen, die unsere Gesinnung, unsere Interessen und Meinungen teilen.

Eigentlich bietet uns das Internet die Vielfalt. Alles Mögliche, dessen Existenz wir kaum erahnen würden, können wir im WWW finden. Wir können in unbekannte Gedankensphären vordringen, uns umfassend informieren, miteinander austauschen, diskutieren, (konstruktiv) streiten, unseren Horizont erweitern und einfach klüger werden. Dafür ist das Internet da, dafür ist es auch gut. Doch Social Media, als Teil des Internets, schafft in der Praxis das genaue Gegenteil: die Vereinheitlichung, das Abschotten gegen Andersdenkende, das gegenseitige Bestätigen, das Schmoren im eigenen Saft, kurz: die Verfestigung der sozialen Blasen, in denen wir leben.

Na gut, wie schon manchmal muss ich auch bei dieser zugespitzten Aussage etwas zurückrudern und sie relativieren. Natürlich gibt es auch in Social Media den positiven Diskurs und man kann tatsächlich viel Neues kennenlernen. Aber es bleibt doch der Eindruck, das soziale Abgrenzungen verfestigt werden, gerade weil man auch für die abstrusesten Ansichten schnell Freunde findet, die einen nichts als bestätigen.

Verarmung

Doch noch etwas bewirkt Social Media: die Reduzierung der Sinne. Musste man sich früher mit Freunden zu einem vereinbarten Zeitpunkt am Stammtisch treffen, gemeinsam schwadronieren, trinken und schwitzen, so trifft man Freunde heute von der Couch aus und hauptsächlich über die Augen, oft sogar reduziert auf Buchstaben im Chat. Man nimmt sich gegenseitig nicht mehr wirklich wahr, nur noch die in Sprache gefassten Gedanken. Die Fülle aller Sinne – verloren. Was die Wahrnehmung des jeweils anderen angeht, bewirkt Social Media eine völlige Verarmung. Sind wir tatsächlich zufrieden damit? Ja, denn auch dies reduziert die Beziehungsarbeit. Wann sollen wir uns treffen? Gehe ich noch zum Friseur? Welches Parfüm, welcher Treffpunkt, welche Kleidung gefällt dem Gegenüber? All diese Fragen müssen nicht mehr ausgehandelt werden, sie sind nun überflüssig.

Video-Konferenz

In der Coronazeit wurde sich vielfach darüber beschwert, dass man mit der Maske ja die Mimik eines Gesprächspartners nicht mehr erkennen könne, was einer Verarmung des sozialen Erlebens gleichkäme. Das konnte ich nie ganz nachvollziehen, da ich Mimik weitgehend von den Augen ableiten konnte. Gleichzeitig fand ich es deutlich schwerer, Mimik und Gefühlszustände in einer Online-Konferenz am pixeligen Bildschirm zu erkennen. Rückwirkend finde ich es verwunderlich, dass man sich über die Masken beschwerte, sich aber freiwillig schon längst der sinnesarmen Social-Media-Bildschirmwelt hingegeben hatte. Ohne jede Not und ohne Murren.

Persönliches Fazit

Das zwischenmenschliche Zusammenleben ist nicht leicht. Beziehungen aber sind gut für den Menschen. Zusammen erreichen wir mehr, wir sind unter Umständen sogar glücklicher. Soll eine Beziehnung von Dauer sein, muss allerdings Beziehungsarbeit geleistet werden, die für die Zufriedenheit beider Seiten sorgt. Doch Arbeit liegt uns nicht besonders.

Einer der großen, modernen Schritte, Beziehungsarbeit zu vermeiden, ist Social Media. Soziale Netzwerke führen Gleichgesinnte zusammen, verfestigen soziale Abgrenzungen und ermöglichen mehr als jemals das abgeschottete Leben in separierten Blasen. Künstliche Intelligenz wird dies konsequent weiterführen. Das Ergebnis wird bald der Roboter sein, der uns auf Schritt und Tritt begleitet und unsere wichtigste Bezugsperson wird. Da er aber willenlos sein und tun wird, was wir wollen, und nur, was wir wollen, werden wir die Beziehungsarbeit schlicht verlernen – wie wir alles verlernen, was wir nicht mühsam trainieren.

Wie schon in vielen anderen Lebensbereichen wird künstliche Intelligenz auch in Beziehungsfragen unsere Bequemlichkeit befriedigen. Jede Anstrengung, eine Beziehung gesund zu erhalten, wird so überflüssig. Zurück bleiben wir dann als isolierte Egozentriker ohne jede Beziehungsfähigkeit.

Und auch dies gehört zu meinem Fazit:

Unsere Beziehungswelt ist eingeschränkter geworden. Nicht erst seit der Omnipräsenz von künstlicher Intelligenz treffen wir uns seltener Face to Face und mit allen Sinnen. Ich glaube, dass unsere Beziehungen dadurch ärmer werden – was allerdings nichts ist gegenüber der zukünftigen Zeit, in der wir lieber einen Roboter-Freund an unserer Seite haben als einen Menschen, der unberechenbar machen würde, was er will.

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Extrovertiert einen Raum betreten
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