Die Androiden Sally und Levin in meinem Roman „Entgrenzt“ haben ein Bewusstsein. Der Roman spielt einige Jahre in der Zukunft. Bewusstsein gibt es bei künstlicher Intelligenz heute längst noch nicht. Zwar gibt es Roboter, auch menschliche Roboter, die sehr menschlich sprechen und agieren, doch ist ihnen ihr Verhalten zurzeit noch mehr oder weniger stur anprogrammiert. Auch moderne ChatBots arbeiten lediglich Algorithmen ab; ein eigenes Bewusstsein haben sie nicht. Aber sie werden freier mit jeder neuen KI-Version. Und wer weiß – vielleicht dauert es gar nicht mehr lange, bis das erste künstliche Bewusstsein einer künstlichen Intelligenz entsteht. Doch was ist überhaupt ein Bewusstsein?
Die Frage nach dem Bewusstsein ist eine der ganz großen Fragen, wenn nicht sogar die eine große Frage – nicht nur bezüglich künstlicher Intelligenz. Dementsprechend wird dieses Kapitel auch das längste dieser Website. Sorry dafür, doch so mal eben ist das Thema Bewusstsein nicht abgehandelt :-)
Nicht selten wird im allgemeinen Sprachgebrauch das Bewusstsein als die eine Instanz angesehen, die uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Was aber das Bewusstsein genau ist, ist kaum definiert. Jeder und jede versteht darunter etwas anderes. Den Begriff festzuschreiben, ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe – schließlich muss man versuchen, mithilfe des Bewusstseins das Bewusstsein zu verstehen. Es kommt mir so vor, als versuche man sich – wie einst Baron Münchhausen – an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Oder auch als ob man als dreidimensionales Wesen vier Dimensionen verstehen möchte. Beides ist schwierig und bleibt mindestens lückenhaft.
Woher kommt das Wort Bewusstsein? Offensichtlich steckt das Wort Wissen darin. Bewusstsein → sich (etwas) bewusst sein → (um etwas) wissen – so oder ähnlich kann man sich das Wort erschließen. Im Deutschen jedenfalls. Über das Wissen habe ich bereits in einem eigenen Beitrag geschrieben: Was ist Wissen? Darin wird deutlich, wie vielschichtig und uneindeutig schon dieser Begriff ist. Resultierend gibt es schon rein sprachlich viele Bedeutungen von „Bewusstsein“ oder „bewusst sein“, die etwa in folgenden Beispielsätzen deutlich werden:
All diese Äußerungen zielen auf verschiedene Bedeutungsinhalte ab. Sie sind alle miteinander verwandt und haben auch alle etwas mit dem Wissen zu tun. Eine solche Beispielaufzählung ist natürlich nicht als Definition des Begriffs geeignet. Sie kann lediglich einen ersten gedanklichen Zugang zur Fülle des Begriffs bieten.
Im Englischen gibt es mindestens zwei Worte für das Bewusstsein:
Zu dieser ersten Annäherung an den Begriff passt ein Definitionsversuch, den ich bei Juristinnen und Juristen gefunden habe. Ich möchte einen Auszug hier zitieren, da er gut auf den Punkt gebracht ist:
Das Bewusstsein ist eine seit dem 18. Jh. in der Psychologie und Philosophie gebrauchte Bezeichnung für die Gesamtheit menschlicher Bewusstseinsinhalte. Die Bewusstseinsinhalte entstehen aus dem menschlichen Erleben und aus dem […] unmittelbaren subjektiven Wissen (lat. conscientia). […]
Lexikon Juraforum, Was ist Bewusstsein? - Definition in der Psychologie und Philosophie
Vielleicht kann man sich dem Bewusstsein, dem Bewussten, auch über sein Gegenteil nähern: das Unterbewusstsein, das Unbewusste. Besonders Sigmund Freud formulierte die Bedeutung des Unbewussten. Wurde vor seiner Zeit angenommen, das menschliche Handeln werde einzig durch bewusste Entscheidungen bestimmt, so erkannte Freud die Macht des Unbewussten:
Das Unbewußte ist das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane.
Sigmund Freud, Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. II. &III. Band. Die Traumdeutung. Über den Traum, S. 617f.
Neben dem Unbewussten benannte Freud noch das Bewusste und das Vorbewusste. Letzteres umfasst Dinge, die unbewusst sind, unter bestimmten Umständen aber ins Bewusstsein gelangen können. Das Unbewusste dagegen kann dies niemals und entzieht sich jedem bewussten Zugriff. (Ebenso von Freud stammen die Begriffe Es, Ich und Über-Ich, bei denen das Es weitgehend dem Unbewussten entspricht und das Ich dem Bewussten – ohne dass diese Begriffe wirklich dasselbe bedeuten.) Dem Unbewussten misst Freud eine besondere Bedeutung für die gesamte Psyche des Menschen zu. So nennt er in derselben Quelle wie oben das Unbewusste die „allgemeine Basis des Psychischen Lebens“ oder das „auch bei Tage arbeitende unbewusste Denken“.
Aufbauend auf Freuds Schriften haben spätere Autoren das Eisbergmodell entworfen, bei dem das Unbewusste den weitaus größeren Teil der Psyche ausmacht. 80% des Denkens liegt dabei – wie bei einem Eisberg – unterhalb der Bewusstseins-Oberfläche, unsichtbar, im Dunkeln geradezu, unbewusst halt, während nur 20% oberhalb bewusst zu erkennen sind. Die 80% und 20% wird sicher niemand gemessen haben; die Zahlen dienen nur der Anschauung, indem sie sich an das allseits bekannte (und ebenso wenig exakt ausmessbare) Pareto-Prinzip anlehnen. Freuds Verdienst ist an dieser Stelle jedenfalls, die Verhältnisse geradegerückt und das Bewusste vom Sockel der Alleinherrschaft über unser Denken und Fühlen gestoßen zu haben. Was unser Denken und damit unser Leben bestimmt, ist uns weit weniger bewusst, als wir vor Freud ahnten.
Aber was ist denn nun das Unbewusste? Nach der Wortbedeutung wird das Unbewusste dadurch charakterisiert, dass wir von ihm nichts wissen. Würde man mich fragen: „Was findet sich alles in deinem Unterbewusstsein?“ – ich könnte es nicht beantworten. Natürlich nicht, es ist mir ja nicht bewusst, also: Ich weiß ja nichts von alldem. Es ist zwar in mir, ich kenne es aber nicht. Es gibt vieles in mir, von dem ich nichts weiß (nichts wüsste, wenn man mir nicht davon erzählt hätte): meinen Insulinhaushalt etwa oder den Energiekreislauf in meinem Blut. Beides aber ist da. Und es beeinflusst mich – positiv oder negativ (wenn es nicht richtig funktioniert). Bei diesen biochemischen Dingen fällt es mir nicht schwer zu akzeptieren, dass sie da sind, ohne dass ich von ihnen weiß. Schließlich habe ich nicht den Anspruch, Experte für Biochemie zu sein. Bei meinen unbewussten Gedankengängen aber fällt es mir schwer, denn eigentlich sollte niemand ein besserer Experte für meine Psyche sein als ich selbst. Meine Gedankenwelt bestimmt mein Wesen, und über mein Wesen hätte ich schon gern die alleinige Kontrolle. Mein Körper mag einfach so vor sich hin funktionieren, mein Wesen aber möchte ich selber steuern. Ich empfinde meine Psyche als mein Ich, und ich selbst wäre gern der einzige, der Einfluss auf mein Ich hat.
Nach Freud allerdings beeinflusst uns der unbewusste Anteil unserer Psyche mehr als der bewusste. Unser gesamtes Denken wird weitgehend vom „auch bei Tage arbeitenden unbewussten Denken“ bestimmt. Das mag erschreckend sein für alle, die den freien Willen des Menschen propagieren und als hohes Gut betrachten. Freuds Modell der Psyche lässt aber nicht viel Raum für einen freien – bewussten – Willen.
Der Satz: »Ich lebe« ist nur bedingt richtig, er drückt ein kleines Teilphänomen von der Grundwahrheit aus: »Der Mensch wird vom Es gelebt.«
Georg Groddeck, Das Buch vom Es, 2. Brief, (1923)
Der strikte Determinismus schien und scheint uns noch heute unvereinbar mit dem Glauben an Verantwortung und sittliche Freiheit.
Max Born, Briefwechsel 1919-1955. FaM 1982. S. 210, 212
Somit wird Freud auch vielfach kritisiert. Wird er? Na ja, geht so. Tatsächlich finde ich nicht viel, was zeitlich nach Freud und den aktuellen Erkenntnissen der Hirnforschung für den freien Willen argumentiert. In einem Focus-Artikel fand ich Hinweise auf Karl Jaspers („Der Mensch hat immer noch die Freiheit, sich anders zu entscheiden“) und Philipp Ruch („Freud erzeugt ein toxisches Menschenbild“). Was ich dort las, fand ich persönlich wenig überzeugend. Auch sehe ich im Determinismus, der Vorbestimmtheit und damit der völligen Verneinung eines freien Willens, keinerlei Gefahr. Es mag sein, dass der Schuldbegriff neu gedacht werden muss, doch wenn schon nicht die Schuld, so bleibt doch immer die Pflicht der Verantwortung bestehen. Wenn ich also nicht „Herr im eigenen Haus“ bin (Freud), also meine eigenen Handlungen nicht vollständig im Griff haben kann, so habe ich doch für die Folgen geradezustehen.
Sollte nun also das Unbewusste wirklich den größten Anteil an unseren Entscheidungen haben, so gibt es dennoch auch das Bewusste. Im Moment der Entscheidung bin ich wohl meinen derzeitigen Synapsen-Zuständen ausgeliefert – hauptsächlich den unbewussten. Doch ich kann diese zumindest für die Zukunft durch das Bewusste beeinflussen. Selbst jemand, der leidenschaftlicher Fleischgerichtsgenießer ist, kann eines Tages zum Vegetarier werden. Dies kann geschehen durch eine bewusst durchdachte Vernunft-Entscheidung. Das Leid der Tiere, Klimawandel, nachhaltiger Umgang mit Ressourcen – all dies kann in bewussten Gedanken bewegt werden und zu einer rationalen Entscheidung führen. Doch diese muss sich gegenüber unbewussten Trieben erst einmal behaupten. Nicht selten brauchen angehende Fleischverweigerer mehrere Anläufe, bis sich ihr Bewusstsein gegenüber dem Unbewussten dauerhaft durchsetzt. Ich will hier nicht von freier Entscheidung sprechen, aber es kann durchaus eine rationale und bewusste Entscheidung sein, die jemanden zum Vegetarier macht. Wurde also vor Freud lange das Unbewusste unterschätzt, so darf man nicht den Fehler machen, nun die Macht des Bewussten zu unterschätzen.
Das Bewusste ist all das, von dem ich weiß. Dazu ein Beispiel mit einem letzten Ausflug ins Unbewusste: Nachdem ich tief in Gedanken einen bekannten Weg mit dem Auto gefahren bin, fällt es mir manchmal schwer, mich an konkrete Momente dieser Fahrt zu erinnern. War die Ampel an dieser und jener Kreuzung wirklich rot? Ich weiß es nicht. Musste ich einen Fußgänger auf dem Zebrastreifen passieren lassen oder war da heute keiner? Keine Ahnung. Und jetzt bin ich plötzlich hier, obwohl ich doch gefühlt gerade eben erst losgefahren bin. Das kann beängstigend sein, nicht nur, weil ich im Nachhinein nicht sicher behaupten kann, ohne Bewusstsein fahrtüchtig gewesen zu sein. Natürlich war ich nicht bewusstlos, mein Bewusstsein aber war nicht mit dem Steuern des Autos beschäftigt (was ich keinesfalls empfehle, was aber durchaus passiert). Offenbar gibt es in mir ein prozedurales Wissen, das mich unfallfrei durch den Verkehr gebracht hat auch ohne mein Bewusstes.
Dieselbe Strecke kann ich auch bewusst fahren. Ich erblicke die Ampel, erkenne die rote oder grüne Farbe und kann bewusst überlegen, ob ich dieses Signal heute regelkonform beachten will oder einfach mal nicht. Auch erblicke ich die Passantin mit dem Hund, die sich anschickt, den Zebrastreifen zu betreten. Ich bremse und freue mich bewusst, sie nicht übersehen zu haben. Dabei kann ich mir die Frage stellen, warum sie barfuß geht oder welcher Rasse ihr seltsamer Hund angehört. Und wenn ich mein Ziel erreiche, kann ich meine Freude darüber – nach dieser langen Fahrt – als Freude bewusst wahrnehmen und mit Worten mitteilen.
Mein Bewusstsein kommt mir manchmal vor wie ein fremder Beobachter, der mein Innerstes beobachtet – wie eine Person von außen, die Einblick in mein Inneres hat. Er beobachtet meine vorbewussten Gedanken und Gefühle (die unbewussten sind ja verborgen), aber auch meine aktuellen Sinneseindrücke und ganz unaktuelle Erinnerungen. Er tut dies sehr konzentriert, gleichsam wie mit einer Lupe und nur eines nach dem anderen, denn: Dieser fremde Beobachter kann kein Multitasking. Er kann nur eine Sache zur selben Zeit beobachten. Das Unbewusste hat diese Begrenzung nicht.
Nehmen wir noch einmal den Zebrastreifen als Beispiel. Fahre ich unbewusst auf diesen Fußgängerweg zu, unbewusst, weil ich in anderen Gedanken versunken bin, dann nimmt mein Unbewusstes Frau und Hund als optischen Reiz wahr, erkennt beide völlig eigenständig als Hindernisse auf der Straße und mein prozedurales Wissen steuert meinen Fuß wie durch Zauberhand gelenkt auf das Bremspedal. Für diesen Vorgang brauche ich – wenn ich es einmal erlernt habe – kein Bewusstsein. Wenn ich nur tief genug in meinen Gedanken stecke, kann mein Bewusstes diesen Vorgang gar nicht wahrnehmen und kann ihn folglich auch nicht beobachten oder gar abspeichern. Während mein Bewusstsein also gerade die Weltformel entdeckt, ist der Rest von mir und auch das Leben von Frau und Hund ganz in den Händen meines Unbewussten. Das funktioniert erstaunlich gut, sogar, wenn ich gleichzeitig Musik höre, kaue und mich am Kopf kratze.
Dabei kann es sein, dass mein Unbewusstes erkennt, dass die Frau keine Schuhe trägt. Ein Abgleich mit ähnlichen Situationen ergibt vielleicht (immer noch völlig unbewusst) die Erkenntnis, dass barfuß auf einem Zebrastreifen eher selten vorkommt. Mein Unbewusstes könnte nun dem Bewussten zuwinken und „Obacht!“ rufen – womit es jenen fremden Beobachter auf die barfuß-Situation aufmerksam macht. Sofort ist er nicht mehr in der Lage, meinen klugen Gedankengängen zu folgen, verliert die Weltformel wieder aus dem Blick und heftet sich mit seiner Lupe an die nackten Fersen der Passantin.
Demgegenüber könnte ich – wie oben beschrieben – sehr bewusst die Strecke fahren. Dann werde ich später jedes Detail erinnern – die Ampel, die Frau, den Hund, die nackten Füße. Nicht aber die Weltformel! Ich will nicht ausschließen, dass mein Unbewusstes schon häufiger die Weltformel parat hatte, es nur leider niemand bemerkt hat; weil es unbewusst war, weil der fremde Beobachter mit seiner Wahrnehmung woanders war oder weil diese Gedanken zu tief unter der Bewusstseinsoberfläche waren. Es geschieht viel mehr unter dieser Oberfläche, als wir uns träumen lassen.
An diesem Beispiel haben wir gesehen, dass das Unbewusste seinen Niederschlag im Bewusstsein haben kann (etwa durch den erwähnten „Obacht“-Ruf). Doch es geht auch andersherum. Oben schrieb ich: „Für diesen Vorgang brauche ich – wenn ich es einmal erlernt habe – kein Bewusstsein.“ Wenn ich es einmal erlernt habe! Und mit ich meine ich hier mein Unbewusstes. Denn das Autofahren und die Verkehrsregeln habe ich mithilfe meines Bewusstseins gelernt. Durch bewusstes, konzentriertes Beobachten und Handeln (Schauen, Schalten, Gasgeben, Bremsen, …) sowie intelligente Gedankengänge (Schlussfolgerungen ziehen, kausales Denken, Gefahrenabschätzung, …) konnte ich das Fahrschulauto fortbewegen, ohne andere Leute in Gefahr zu bringen – langsam zunächst, dann immer schneller. Denn dieses wiederholte bewusste Handeln hat sich mit der Zeit in meinem Unbewussten niedergeschlagen, und zwar als das oben erwähnte prozedurale Wissen. Heute kann ich beides: unbewusst fahren oder auch bewusst fahren. Was von beidem besser funktioniert, sei dahingestellt. Denn während das bewusste Handeln flexibler ist und sich besser auf neue Situationen einrichten kann, ist es dabei doch recht langsam. Das unbewusste Handeln agiert viel schneller und kann Multitasking, ist damit vielleicht den Reflexen näher, braucht aber sehr lange, um etwas Neues zu erlernen.
Das Bewusste ist hilfreich beim Lernen. Doch es ist nicht der einzig mögliche Weg zu lernen. Auch unbewusst lernen wir viele Dinge: Sehen, Sprechen, Laufen, … Tatsächlich ist diese Art zu lernen dem Training bei künstlicher Intelligenz sehr ähnlich. Allerdings dauert das beim Menschen sehr lange und benötigt unzählige Fehlversuche. Auf das Autofahren übertragen bedeutet das, dass es viele Fahrschulwagen und Todesopfer gekostet hätte, wenn ich ohne mein Bewusstsein das Autofahren hätte erlernen müssen. Es wird deutlich, dass das Bewusste – wenn auch langsamer – viel intelligenter (problemlösungsfähiger) ist als das Unbewusste.
Oh! Oben schrieb ich noch: „Das Bewusste ist all das, von dem ich weiß.“ Von Intelligenz war dort keine Rede. Nach dieser Haltung hätte jede künstliche Intelligenz, die so neunmalklug reden kann wie ein moderner ChatBot, ein Bewusstsein. Denn ein ChatBot speichert jeden Vorgang, den er erlebt. Er hat auch Zugriff auf diese Daten; immerhin berücksichtigt er große Teile des bisherigen Verlaufs (wenn nicht den gesamten Verlauf) als Input für die Generierung seiner nächsten Antwort. Er weiß also eine ganze Menge. Ist das schon ein Bewusstsein? In der engsten Wortbedeutung vielleicht, aber sicher nicht in der Bedeutung, die wir damit meinen. Wenn wir von unserem Bewusstsein reden, meinen wir mehr als nur unsere Erinnerungsfähigkeiten. Aber was ist es genau, was noch hinzukommen muss, um ein Bewusstsein zu ergeben? Dazu denken wir uns das Gedächtnis, jedes Erinnern, einfach mal weg und schauen, was von uns bleibt.
Wenn ich mir einen Menschen ohne jede Erinnerungsfähigkeiten vorstelle, nein, wenn ich mir mich ohne jede Erinnerungsfähigkeiten vorstelle, dann sehe ich mich sehr naiv durch die Welt taumeln. Ich also ohne jedes Kurz- und Langzeitgedächtnis: Beispielsweise betrachte ich die Tapete vor mir. Meine Augen folgen den Blumenmustern und nehmen die Farben und Formen wahr. Sehr genau, wie mit der erwähnten Lupe, erfassen sie das Motiv. Im nächsten Moment werde ich auf die Stimmen draußen auf der Straße aufmerksam. Von der Tapete weiß ich sofort nichts mehr, stattdessen „beobachte“ ich die Stimmen. Ich lausche ihrem Klang, nicht mehr; verstehen kann ich ja nichts, denn zum Verstehen bräuchte ich ein Sprachgedächtnis. Ohne jedes Gedächtnis, ohne jedes Wissen ist mein Bewusstsein – bin ich – nur meine momentane Wahrnehmung. Zwar fluten auch die Formen der Tapete weiterhin mein Unbewusstes, doch mein Bewusstsein ist vollends konzentriert auf mein Hören, es ist nur noch mein Hören, ich bin nur noch mein Hören. Bis mir jemand auf die Schulter tippt – dann bin ich plötzlich nur noch mein Fühlen, und zwar nur das Fühlen auf meiner Schulter ohne jede Erinnerung an Tapeten oder Stimmen oder auch meine derzeitigen Zahnschmerzen (habe ich vergessen, die zu erwähnen?). Das meine ich mit taumeln. Aber: Ich weiß nichts davon, dass ich taumel. Ich weiß auch nicht, dass ich gerade konzentriert bin aufs Schulter-Fühlen, denn in diesem Moment gibt es ja nichts anderes als dieses Fühlen. Dass mein Bewusstsein gerade mit seiner Lupe eine Auswahl trifft aus einer Vielfalt von Wahrnehmungen, ist mir nicht bekannt, denn von einer solchen Vielfalt weiß ich nichts. Ich bin nur meine derzeitige Wahrnehmung, und zwar jeweils nur eine einzige (fehlendes Multitasking). Leider wird mein Unbewusstes, das durchaus den gesamten Überblick über all meine Wahrnehmung hat, mich sehr bald wieder auf meine Zahnschmerzen aufmerksam machen – sprich: konzentrieren.
Ja, so wäre ich wohl ohne jedes Gedächtnis. Sicherlich würde niemand so sehr im Jetzt leben wie ich, wenn ich keine Erinnerungen hätte. Aber was bliebe auf diese Weise noch übrig von meinem Bewusstsein, von meinem Ich? Noch immer würde ich erleben. Noch immer würde ich die Welt durch meine Sinne beobachten, pausenlos und durch die Lupe. Es gäbe durchaus einen Fokus meiner Aufmerksamkeit, einen Punkt, auf den ich mich konzentriere, je nachdem, wohin ich gerade taumel. Ich würde sehen, hören, fühlen, schmecken, riechen, hätte aber wohl nichts davon. Gar nichts. Sogar meine unbewussten Emotionen würden weiter funktionieren, könnten mich lachen oder weinen lassen. Ich würde dann auch meine Tränen bemerken und sie beobachten, doch hätten sie keinerlei Bedeutung für mich und ich würde auch keinerlei Grund dafür kennen oder auch nur suchen. Und: Niemand würde bemerken, dass ich etwas erlebe, nicht einmal ich selbst. Es hätte keinerlei Konsequenz für mich. Ich würde existieren, als hätte ich kein Erleben. Ich würde auch mich erleben, es aber nicht bemerken, und so hätte ich auch keine Vorstellung von einem Ich. Ob ich lebe oder nicht, hätte für mich keinerlei Bewandtnis; es wäre dasselbe, denn es gäbe keinen Unterschied für mich zwischen leben und nicht leben. Für meine Umwelt schon, aber nicht für mich, für meinen Geist, für mein nulldimensionales, punktförmiges Bewusstsein. Was habe ich von einem Leben im Jetzt, wenn ich keine Vergangenheit habe? Ein Bewusstsein ohne Gedächtnis ist geradezu ein Nichts, und doch ist es ein Bewusstsein, und zwar eines, das unablässig arbeitet!
Mein Bewusstsein ist ein Arbeitstier. Es scheint niemals eine Pause einzulegen. Es ist geradezu immer mit meinem Erleben beschäftigt, zu jedem Zeitpunkt mit genau einem Aspekt meines Erlebens. Und wenn ich mir mein Gedächtnis jetzt wieder zurück vorstelle, dann wird mir deutlich, dass es eben auch und gerade diese Erinnerungen sind, die es sich zum Gegenstand seines Interesses macht. So kann ich mir das Tapetenmuster irgendwann wieder in Erinnerung rufen, es mir erneut vorstellen, vor (die inneren) Augen stellen, als würde ich es jetzt gerade betrachten. So kann ich etwas Erlebtes erneut erleben, ohne es erneut erleben zu müssen. Und ich kann es vergleichen mit anderen Erinnerungen, die ich auch parat habe, kann alles miteinander in Verbindung bringen, gegeneinander abwägen, beurteilen und und und.
Dieses Beobachten, Speichern, wieder Hervorholen, erneut Betrachten, Verknüpfen usw. nennt man Denken. Unser Denken beschäftigt sich mit allem, was gerade geschieht, aber ebenso mit allem, was je geschehen ist und was es gespeichert hat. Aber es kann nur eines von beiden. Wenn ich gerade etwas Großartiges erlebe, ist es ganz darauf fokussiert – im Jetzt. Wenn ich dagegen das einst Erlebte wiederkäue, ist es für das aktuelle Erleben blockiert – was ganz praktisch sein kann, wenn ich gerade auf dem Zahnarztstuhl sitze :-)
Der Geist muss ständig bewerten, vergleichen und urteilen – das liegt in seiner Natur. Wir versuchen deshalb auch gar nicht, das zu unterbinden oder zu ignorieren. Und wir versuchen auch nicht, all die anderen Gedanken zu unterdrücken, die pausenlos aufsteigen und wieder verschwinden.
Ulf Dahlke, Die nicht-urteilende Haltung bei Der-Buddhismus.de
Unser Denken arbeitet immer. Das weiß auch der Buddhismus und will es bei der Meditation auch gar nicht erst abschalten (sondern lediglich einen anderen Umgang damit finden). Denken ist der immerwährende Normalzustand. Nur der Fokus des Denkens ändert sich fortwährend. Dies zu steuern ist die Kunst der Konzentration, was wirklich eine Kunst ist; das Bewusstsein bewusst auf etwas zu lenken, ist nicht leicht. Gern lässt es sich ablenken (was unbewusst geschieht) – in jeder Richtung. Wer etwas gründlich durchdenken will, den kann schon leise Hintergrundmusik daran hindern. Wer dagegen ein Konzert genießen möchte, den können unvollendete Grübeleien daran hindern. Doch in Grenzen lässt sich der Fokus bewusst lenken, und mit einem gut gesetzten Fokus kann das Denken die Welt bedeuten.
Mit diesen Erkenntnissen möchte ich nun endlich drei konkrete Punkte über das Bewusstsein formulieren:
Für mich war es ein langer Weg, dies so formulieren zu können. Viele Tage lang habe ich mich und mein Denken genau beobachtet und versucht zu verstehen, was mein Bewusstsein ausmacht. Ich habe Münchhausen sozusagen verdoppelt oder quadriert: Ich habe als fremder Beobachter mit einer Lupe in der Hand den fremden Beobachter mit der Lupe beobachtet, wie er all das beobachtet, was er so beobachtet. Ich hoffe, ich habe nichts übersehen dabei :-)
Im Weiteren möchte ich nun noch einige spannende Teilaspekte beleuchten, die eng mit dem Bewusstsein verbunden sind. Sie verfolgen keinen roten Faden und münden irgendwann in der Frage nach dem Bewusstsein in künstlicher Intelligenz.
Wenn ich oben schreibe: „Unser Denken lässt sich gern ablenken“, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Wir Menschen haben ein sehr fein austariertes System, das den Denkfokus steuert. Dieses System berücksichtigt die Geschwindigkeit des Unbewussten und die Intelligenz des Bewussten gleichermaßen. So viel wie möglich kann unter der Oberfläche geschehen mit Mechanismen, denen die künstliche Intelligenz bereits nahekommt und die extrem schnell viele Dinge gleichzeitig können: Etwa wie oben: Auto fahren, Musik hören und am Kopf kratzen. Nur wo es neue Situationen zu bewältigen gibt, wird das bewusste Denken benötigt, das in der Lage ist, Schlüsse zu ziehen, Logik anzuwenden, Voraussagen zu treffen – intelligent zu sein. Dabei gibt es eine bestimmte Instanz in uns, die steuert, was unser Bewusstsein erreicht und was nicht. Das Bewusste sollte nur mit Dingen behelligt werden, die gerade wirklich wichtig sind.
In unserer Psyche gibt es einen Türsteher, der genau dafür sorgt. Er hat den Überblick über die derzeitige Situation, über aktuelle, unbewusste (vermutlich nur vorbewusste) Prozesse genauso wie über alles, was unsere Sinne erreicht. Das allermeiste davon muss nicht in unser Bewusstsein gelangen. Es ist nicht notwendig für den Tagesablauf. Im Gegenteil würde es das Bewusste schnell überlasten. Das Unbewusste aber kann vieles parallel erledigen – weil das über Jahrzehnte im Individuum und über Jahrmillionen in der Evolution dazu trainiert wurde. Es kann wiederkehrende Handlungen ausführen (kauen, trinken), Signale des Körpers bemerken und darauf reagieren (kratzen, wenn es juckt) oder auch permanent die Sinneseindrücke durchpflügen (Lärm nach wichtigen Infos scannen). Und insbesondere Letzteres ist wichtig, denn irgendwann könnte ja jemand meinen Namen rufen oder „Feuer!“ oder „Geld zu verschenken!“. In einer solchen Situation wird der Türsteher mein Bewusstes auf die unerwartete Situation aufmerksam machen, mich aus meinen Gedanken reißen, damit ich bewusst handeln kann. Dieser Türsteher ist die Voraussetzung dafür, dass ich diesen Artikel schreiben kann und den Renovierungslärm meiner Nachbarn erfolgreich ausblende, obwohl er durch meine Ohren in mich hineinströmt. Sobald dort drüben aber jemand „Aua!“ schreit, bin ich mit meinem Bewusstsein sofort bei ihm. Dies steuert nicht mein Bewusstsein, sondern der Türsteher im Unbewussten, der in der Lage ist, bei Bedarf dem Bewussten ein „Obacht!“ zuzurufen.
Emotionen (von lat. emovere, herausbewegen, emporwühlen) sind Regungen der Psyche. Sie entstehen als Reaktion auf Ereignisse oder Gedanken. Sitz der Emotionen ist (zumindest zu großen Teilen) das Limbische System, eine evolutionär alte Hirnregion.
Es gibt noch ein anderes Wort für die Emotion, das oft fälschlicherweise synonym gebraucht wird: das Gefühl. Ein Gefühl aber bezeichnet nur den subjektiv empfundenen Anteil einer Emotion. So bringt die Emotion (Angst, Freude, Traurigkeit, Zorn, …) physiologische Reaktionen hervor (Schweißausbruch, Fluchtbereitschaft, Lachen, Weinen, …), zumindest beim Menschen aber auch ein psychisches Empfinden, bewusst wie unbewusst. Wirklich bewusst und unbewusst? Ich glaube schon. Gefühle können uns bewusst sein, aber müssen sie es auch? Immerhin kann uns etwas bedrücken, ohne dass wir genau wissen, was (dies war die Grundlage für Sigmund Freuds Geschäftsmodell). Ein solches (unbekanntes) Problem wird dann physiologische Reaktionen hervorrufen, aber auch das Gefühl der Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit – ein Sich-schlecht-Fühlen, das auch bewusst wahrgenommen werden kann. Vermutlich ist der unbewusste Anteil eines Gefühls doch wieder „nur“ die zugrundeliegende Emotion.
Noch etwas wird leicht verwechselt: Gefühle und Bewusstsein. „Haben Tiere Emotionen und Gefühle?“, wird häufig gefragt, wenn wir ergründen wollen, ob Tiere ein Bewusstsein haben. Oder auch: „Können Tiere leiden?“ Aber können wir von Emotionen auf ein Bewusstsein schließen? Oder ausgehend von Gefühlen oder Leiden? Bei allen Säugetieren und den Vögeln wurden Emotionen nachgewiesen. Jedoch nur Emotionen in der Art von physiologischen Vorgängen im Hirn und resultierenden Verhaltensänderungen. Sie entsprechen vollständig den Vorgängen im menschlichen Gehirn. Aber dies ist noch kein Fühlen, kein Gefühl. Ob Tiere also Gefühle haben, können wir derzeit nicht beantworten. Dies wird uns auch weiter unten bei der künstlichen Intelligenz noch beschäftigen.
Emotionen scheinen mir mit dem Bewusstsein nichts zu tun haben. Gefühle umso mehr. Gefühle sehe ich als das (bewusste) Empfinden der (unbewussten) Emotionen. Sie sind die Beobachtungen des oben genannten fremden Beobachters, der die Emotionen zumindest unter manchen Umständen erkennen und dem Bewusstsein zur Verfügung stellen kann. Manchmal bleiben uns die eigenen Emotionen aber verborgen. Dann benötigen wir für dieses Beobachten spezielle Methoden wie die Hypnose. Oder das Träumen.
Was geschieht beim Träumen? In allen Details ist dies der Wissenschaft nicht bekannt. Klar ist, dass zumindest Teile des Bewusstseins nicht oder kaum aktiv sind beim Träumen. Ich selbst erlebe das in seltenen Fällen während eines Traumes: Dann möchte ich etwas lesen, was beispielsweise auf einem Stück Papier geschrieben steht und für die Traumhandlung wichtig erscheint. Doch dann kann ich es nicht lesen. Zwar erscheinen dort Buchstaben, aber ich erkenne sie nicht. Es ist, als hätte ich niemals zuvor solche Zeichen gesehen. Und es fühlt sich an wie ein Loch im Kopf, wie ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ich weiß zwar um Buchstaben, doch ich kenne keinen einzigen. Vermutlich ist das so, weil der Teil meines Hirns, der Buchstaben kennt, schlicht abgeschaltet ist. Wenn ich dann genauer hinsehe – im Traum – dann kann ich auch rein optisch ihre Form nicht erkennen. Wie auch? Die Hirnregion, die diese Zeichen vor meinem träumenden Auge als optische Reize formen könnte, schläft ja gerade. Die Formen bleiben unkonkret. Ich könnte sie nicht nachzeichnen, nachdem ich sie gesehen habe. So starre ich darauf und die Schriftzeichen entziehen sich meinem (Traum-)Bewusstsein, wodurch mir natürlich auch der ach so wichtige Text-Inhalt unzugänglich bleibt (was sich im Traum äußerst unbefriedigend anfühlt und mich sicher den mich verfolgenden Aliens oder Zombies ausliefern wird). Wie ärgerlich, wenn Teile des Hirns einfach nicht funktionieren wollen.
Noch etwas ist über das Träumen bekannt: Wir träumen beinahe die ganze Nacht bzw. den ganzen Schlaf hindurch – mit unterschiedlichen Intensitäten. Besonders lange und intensive Träume widerfahren uns in den REM-Phasen des Schlafs (REM = Rapid Eye Movement). Diese werden häufiger, je länger wir schlafen, und der Schlaf ist hier nicht so tief wie in anderen Schlaf-Abschnitten. Träume in der REM-Phase erinnern wir leichter als andere, einfach weil wir schneller danach aufwachen und sie sich offenbar näher an der Bewusstseinsgrenze „aufhalten“. Doch halt! Aufhalten? Was soll das bedeuten? Heißt das, dass Träume sich eigentlich im Unbewussten aufhalten?
Für Sigmund Freud war der Traum ein Tor zum Unbewussten. Unbewusste (vorbewusste?) Gedankenströme manifestieren sich danach in der Art, dass sie zumindest teilweise ins Bewusstsein „überschwappen“. Ich stelle mir das so vor, dass es unter der Oberfläche des Eisbergmodells, also im Unbewussten, heftig brodelt – nicht nur in der Nacht, sondern immer. Dabei wird hier und da die Oberfläche aufgerissen, Unbewusstes gelangt unvermittelt ins Bewusstsein. Im wachen Zustand wird der erwähnte Türsteher ein Auge darauf haben und das Bewusstsein zu schützen wissen. Im Schlaf scheint er durchlässiger zu werden. So erreichen auch die absurdesten „Ideen“ unseres Unbewussten das bewusste Denken und finden dort ihren Niederschlag als beliebig verrückte Handlungen. Diese können nach dem Erwachen ggf. erinnert werden und dienen der Psychoanalyse dann als Tor zum Unbewussten. (Für mich ist dieses Brodeln derselbe Vorgang wie während kreativer Vorgänge.)
Selbstbewusstsein ist ein Wort, das meist nicht im Wortsinn gebraucht wird. Stattdessen muss es oft als Ersatz für Selbstsicherheit herhalten. Wer selbstbewusst ist, fühlt sich seiner selbst sicher, weiß, was er kann, kennt seine Grenzen (oder auch gerade nicht) und lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Eigentlich bedeutet Selbstbewusstsein aber, sich seiner selbst bewusst zu sein. Sich seiner selbst bewusst oder sicher zu sein, sind zwei verschiedene Dinge. Selbstbewusst kann auch ein sehr unsicherer Mensch sein; Hauptsache er weiß, dass er ist, und zwar eine eigenständige Person. Ein Ich.
Oben habe ich das Bewusstsein als eine fremde Person beschrieben, die das eigene Innere beobachtet. Das Selbstbewusstsein wiederum beobachtet nur den Teil des Inneren, der die eigene Existenz betrifft. Meiner selbst bewusst bin ich, wenn ich weiß,
Dass ich das alles wirklich weiß, ist allerdings etwas hochgegriffen. Wichtig ist, dass diese Fragen mein Denken erreichen, ich mir also bewusste Gedanken über meine eigene Existenz machen kann – dann habe ich ein Selbst-Bewusstsein. Immanuel Kant schreibt dazu:
Ich bin mir meiner selbst bewußt, ist ein Gedanke, der schon ein zweifaches Ich enthält, das Ich als Subjekt, und das Ich als Objekt. Wie es möglich sey, daß ich, der ich denke, mir selber ein Gegenstand (der Anschauung) seyn, und so mich von mir selbst unterscheiden könne, ist schlechterdings unmöglich zu erklären, obwohl es ein unbezweifeltes Factum ist; […]
Immanuel Kant, Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens, und Wolf’s Zeiten in Deutschland gemacht hat?, A35 (1804)
Ich denke, also bin ich.
René Descartes
Es gibt kein Ich, aber es gibt mich.
Ansgar Beckermann in: Die Suche nach dem Ich
Sich seiner selbst bewusst zu sein, bedeutet auch, sich als Ich zu empfinden und auch als Ich zu erkennen (Ich im allgemeinen Sinne, nicht als Ich im Freudschen Sinne zwischen Es und Über-Ich). Menschen haben ein ausgeprägtes Bewusstsein für das Ich. So gehört das Wort „ich“ zu den dreißig häufigsten Worten der deutschen Sprache, die zusammen fast ein Drittel aller verwendeten Worte ausmachen – gemeinsam mit so banalen Worten wie der, die, das. Diese Tatsache ist natürlich trivial, denn schließlich sind wir alle ziemlich Ich-bezogen, das entspricht unserer tiefen, evolutionär bedingten Natur. Doch Generationen von Philosophen – René Descartes allen voran – haben sich am Ich abgearbeitet. Viele sahen das Denken als Voraussetzung für das Ich. Viele betrachteten das Vorhandensein des Ich als das eine Kriterium, das uns Menschen zu Menschen macht. Andere betrachteten die unsterbliche Seele als den Sitz des Ichs.
Die moderne Hirnforschung jedoch bezeichnet das Ich als reines Konstrukt, das keine Entsprechung in der (physischen) Wirklichkeit findet. So gibt es nicht etwa bestimmte Hirnregionen, wo das Ich lokalisiert werden könnte. Die Wissenschaft hat jedenfalls bisher kein „Etwas“ gefunden, das man das „Ich“ nennen könnte. Das Ich ist somit eine bloße Erfindung der Philosophie. Dennoch ist es ein Philosoph, der sagt:
„Das Ich“ oder „das Selbst“ gibt es gar nicht. Selbstbewusstsein ist kein Ding, sondern ein Vorgang – mit sehr vielen Schichten und Ebenen.
Thomas Metzinger in: Mein Tunnel durch die Wirklichkeit
Das passt zu all den unbeholfenen Ausführungen, mit denen ich oben das Bewusste zu charakterisieren versucht habe. Das Bewusstsein – damit auch das Ich – ist ein komplexer Vorgang der Beobachtung und Verarbeitung von Gedanken und Sinneseindrücken, ein Aufnehmen und Wiederkäuen erlebter Ereignisse. Hirnforschende könnten dies sicher deutlich konkreter und stichhaltiger beschreiben.
Tatsächlich beschrieb schon Gottfried Wilhelm Leibniz die physische Nicht-Existenz des Bewusstseins. In seiner Monalogie von 1714 erdenkt er im §17 das bekannte Mühlenbeispiel: Man stelle sich vor, es gäbe eine Maschine, die empfinden kann. Wäre sie so groß wie etwa eine Mühle, könnte man in sie hineingehen und ihre mechanische (sprich: physische) Beschaffenheit studieren. Alles, was man fände, wären aber Zahnräder und ähnliche Dinge, die einander anstoßen und zwingend in Bewegung bringen. Ein Denken, eine Empfindung oder gar ein Bewusstsein würde man dabei nicht finden.
Dies ist ein Problem, denn es entsteht eine Erklärungslücke zwischen Physischem und Psychischem. Wer annimmt, die Psyche werde vollständig von der Hirnstruktur und dem derzeitigen neuronalen Zustand (also dem Physischen) bestimmt, weiß immer noch nicht, wie genau das geschieht. Im Gegenteil: Leibniz und viele andere leugnen die Erklärbarkeit ganz und trennen die Physik vollständig von der Psyche. So entsteht ein großer Raum für alle Vertreter eines Körper-Seele-Dualismus; das Ich kann – wie oben bereits angedeutet – in einer unsterblichen Seele gefunden werden. Das Bewusstsein erhält seinen transzendenten, spirituellen, göttlichen, übernatürlichen Charakter zurück.
Spirituelle Menschen werden sagen: Das ist doch kein Problem, das war mir immer schon klar. Naturalistisch Denkende haben dem nicht viel entgegenzusetzen. Einen Versuch, das dennoch zu tun, habe ich beim Theologen und Neuropsychologen Christian Hoppe gefunden. Er betont, dass wir nicht etwa ein Gehirn haben, sondern eher ein Gehirn sind. Und dass es grundsätzlich nicht möglich ist, von außen fremde Empfindungen nachvollziehen zu können. Empfindungen sind Dinge, die nur das empfindende Ich selbst erkennen kann:
Ich selbst befinde mich […] natürlicherweise nicht in dieser Außenposition zu meinem Gehirn; meine natürliche Möglichkeit, subjektiv in mein eigenes Gehirn (!) und dessen aktuellen Zustand einzutauchen – ist eben das Erleben der Wirklichkeit selbst: Unter bestimmten physiologischen Voraussetzungen (Wachheit usw.) zeigt das Gehirn (bzw. das Nervensystem) sich selbst einen sorgfältig selegierten Teil seines aktuellen Zustandes in Form bewussten Erlebens […].
Christian Hoppe, Warum Qualia den Naturalisten nicht allzu sehr beunruhigen sollten
Qualia (Singular: das Quale, lat. qualis „wie beschaffen“) ist eine Bezeichnung für das subjektive Erleben, das nur vom jeweiligen Individuum selbst wahrgenommen und kaum mit Worten erklärt werden kann. Ein bestimmter Farbeindruck etwa gehört zur Qualia; ob ich selbst „blau“ in derselben Weise empfinde wie mein Gegenüber, kann keiner von uns beiden jemals beantworten.
Auch Schmerz gehört zur Qualia, und es stellt sich die Frage, welchen Sinn ein subjektives Schmerzempfinden überhaupt hat. Fasse ich auf eine heiße Herdplatte, zuckt meine Hand ganz von allein zurück. Es sind die Reflexe, die auf den Nervenimpuls „zu heiß“ reagieren, bevor er mir überhaupt bewusst wird. Mein Körper scheint dadurch eigentlich ausreichend geschützt zu sein. Ein subjektives Schmerzempfinden (das auch Leid erzeugt) scheint hier überflüssig. Doch das täuscht. Durch unser Bewusstsein sind wir in der Lage, bewusst zu agieren. Bewusstes Handeln aber kann auch in der Lage sein, uns selbst zu schaden. Ohne subjektives Schmerzempfinden, ohne empfundenes Leid, könnte ich mich etwa dafür entscheiden, noch einmal auf die Herdplatte zu fassen, weil meine Hand dann so lustig zuckt. Davor bewahrt mich der Schmerz. Um bewusstes Handeln nachhaltig zu bändigen, braucht ein Organismus mit eben dieser bewussten Handlungsfähigkeit auch eine bewusste Handlungs-Rückmeldung, die bewusst verarbeitet werden kann und die auch ein Maß für die Dringlichkeit enthält. Organismen ohne Bewusstsein, ohne Denken, ohne Intelligenz brauchen das nicht – wie uns Homer Simpson anschaulich vor Augen führt (auch hier) :-)
Und dies führt uns direkt zur nächsten spannenden Frage:
Haben auch Tiere ein Bewusstsein? Ich glaube, es kommt darauf an. Herrchen und Frauchen von Hunden würden sicher sofort „Jaaa!“ rufen. Sie wissen um die Gemütszustände ihrer Schützlinge und empfinden sie oft als gleichwertiges, bewusstes Gegenüber – dem Menschen nicht nur ähnlich, sondern stellenweise überlegen. Auch als Nicht-Hundefreund würde ich hier zustimmen. Den Bakterien aus meinem Kapitel Was ist Intelligenz? dagegen, die sich immerhin aktiv in Zonen der größten Nährstoffkonzentration bewegen können, würde ich sehr sicher kein Bewusstsein zuschreiben. Bei Stubenfliegen bin ich dagegen schon unsicher.
Abgesehen von diesen subjektiven und emotionalen Einschätzungen arbeitet die Forschung daran, das Bewusstsein, insbesondere das Selbst-Bewusstsein bei Tieren zu suchen. Leider kann man ein Tier nicht einfach fragen, ob es eine Vorstellung von sich selbst hat, ob es sich als ein Ich empfindet. Um dies zu erfahren, haben Forschende aber interessante Methoden entwickelt. Verwendet wird oft der Spiegeltest. Dabei wird ein Tier mit seinem Spiegelbild konfrontiert, was bei unterschiedlichen Tierarten bereits unterschiedlichste Reaktionen zwischen Ignoranz, Neugier und Aggression hervorruft. Der Clou ist nun aber, diesem Probanden unbemerkt eine ungewöhnliche Farbmarkierung an einem Körperteil anzubringen (z.B. im Gesicht), das im Spiegelbild und nur im Spiegelbild auffallen wird. Nun gibt es Tierarten, die diese Markierung im Spiegelbild zwar sicher wahrnehmen, aber komplett ignorieren. Sie kommen nicht auf die Idee, dass sich diese Markierung an ihrem eigenen Körper befinden könnte. Vermutlich denken sie, dass es das Problem dieses fremden Typen gegenüber ist (noch nie gesehen) und er selbst damit fertig werden muss. Andere Tierarten aber, allen voran die Menschenaffen, vermuten diese Markierung an sich selbst und versuchen, sie zu betasten oder zu entfernen – nicht etwa im Spiegelbild, sondern an sich selbst. Hat der Affe beispielsweise einen roten Fleck an der Stirn, dann beginnt er, seine eigene Stirn zu betasten. Dies ist spannend, da es beweist, dass er verstanden hat, dass dieses Spiegelbild ihn selbst darstellt. Und das wiederum bedeutet, dass er eine Vorstellung von sich als Individuum, als Ich hat.
Nicht nur Menschenaffen bestehen den Spiegeltest. Auch einige Wale und die Delfine, Krähen, Elstern, Elefanten und sogar winzige Putzerfische. Gerade letztere, die erstaunliches Verhalten zeigen, bringen Forschende zum Umdenken. Dieser Spiegeltest, der seit den 1970er Jahren angewendet wird, bestätigt zwar, dass Tiere sich selbst erkennen können. Was das aber über ein Bewusstsein aussagt, ist strittig.
Dies beweist nicht bloß, dass die Tiere weniger Vernunft als die Menschen, sondern dass sie gar keine haben.
René Descartes, Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs, (1637)
Gänse sind eben auch nur Menschen.
Konrad Lorenz
Was aber bleibt, sind Beobachtungen durch Menschen, die Tieren nahekommen. Das sind etwa jene Hunde-Begeisterte, wie ich sie erwähnt habe. Für Hunde-Mamas und -Papas ist das Bewusstsein der Hunde unstrittig und sie kennen jede ihrer tierischen Gefühlslaunen. Doch damit sind Hunde nicht einzigartig. Papageien wissen, was Farben und Formen sind, Tümmler geben sich Namen, Elefanten trauern. Wie schon Gänseforscher Konrad Lorenz sprechen heute viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Tieren mehr Intelligenz zu, als es zu früheren Zeiten üblich war. Doch bereits Charles Darwin war der Ansicht, dass die menschliche Intelligenz sich aus einfacheren, aber vorhandenen Intelligenzen der Tiere entwickelt haben muss – nicht etwa aus dem Nichts. Intelligenz ist nicht dasselbe wie Bewusstsein, doch was für Ersteres gilt, gilt auch für Letzteres: auch unser Bewusstsein ist vermutlich nicht aus dem Stand entstanden. Dass Tiere nicht sprechen können, wird jedenfalls zunehmend nicht mehr als Zeichen gedeutet, dass sie nur lebende Automaten sind.
Ob Tiere ein Bewusstsein haben, werden wir vielleicht nie mit Bestimmtheit sagen können. Schmerzen empfinden können sie jedenfalls. Auch haben sie Gefühle, zumindest Emotionen, empfinden Zuneigung und Ablehnung und sind zu Empathie und Handlungen des Trostes fähig. Was das alles genau über ein Bewusstsein aussagt, bleibt offen. Ich halte es daher in dieser Hinsicht gern mit einem Buchtitel des niederländischen Verhaltensforschers Frans de Waal:
Are We Smart Enough To Know How Smart Animals Are?
–
Sind wir schlau genug zu wissen, wie schlau Tiere sind?
Frans de Waal, Buchtitel, New York 2016
Der Mensch bildet sich durchaus etwas ein auf sein Bewusstsein. Das Empfinden des eigenen Ichs, das Erspüren der eigenen Person ist so beeindruckend, dass das Bewusstsein sehr überhöht wird. So hat sich der Mensch übernatürliche Dinge ausgedacht, um das unerklärliche Bewusstsein zu erklären und gleichzeitig geradezu ins Heilige zu erheben. Diese Ideen finden sich nicht nur in Religion oder Esoterik, sie durchziehen viele menschliche Gesellschaften. Auch der Wunsch nach Unsterblichkeit hält sie lebendig in unserer ansonsten sehr nüchternen Welt.
Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht darüber schreiben, denn dies ist nicht mein Thema. Doch anhand dreier Bilder möchte ich zeigen, wie verbreitet die Vorstellung des Übernatürlichen in Bezug auf das Bewusstsein ist. Diese Bilder habe ich mit einer bildgenerierenden KI erzeugt, und zwar mit dem simplen Prompt: „Bewusstsein“. Heraus kamen mehr als nur diese drei Bilder, die das Bewusstsein a) nur dem Menschen zuschreiben und b) als übernatürliches, ungreifbares, himmlisches, esoterisches Leuchten im Universum darstellen. Dass die künstliche Intelligenz so darüber „denkt“, hat seinen Ursprung in den zugrundeliegenden Trainingsdaten, die wiederum menschliche Werke sind und auf menschliches Denken zurückzuführen sind.
Wer mit einer künstlichen Intelligenz chattet, wird oft keinen Unterschied zu einem menschlichen Gegenüber erkennen können. ChatGPTs Äußerungen etwa sind klug, tiefsinnig, fantasievoll oder witzig – je nachdem, was man anfragt. Aber ist dies ein bewusstes Sprechen? Nein, werden viele sofort antworten. Es handelt sich nur um Wahrscheinlichkeitsabschätzungen, welches Wort nach einem vorangehenden stehen sollte (sehr vereinfacht ausgedrückt; ich habe versucht, diesen Vorgang im Kapitel Was ist Wissen? darzustellen, ebenfalls vereinfacht).
In drei Worten: Was bedeutet Bewusstsein?
Selbstwahrnehmung, Denken, Empfinden.
In drei Worten: Hast du ein Bewusstsein?
Nein, ich nicht.
Was habe ich zuerst gefragt?
Du hast zuerst gefragt, was Bewusstsein bedeutet.
Ich und ChatGPT
Ein heutiger ChatBot hat kein Bewusstsein. Hat er nicht? Wie oben schon angedeutet, wird immerhin alles protokolliert, was gechattet wird, und der ChatBot berücksichtigt große Teile des bisherigen Verlaufs als Input für die Generierung seiner nächsten Antwort; das kleine Chat-Beispiel anbei beweist das. Somit hat der ChatBot ein Gedächtnis und ein Denken; diese habe ich oben als die Anteile des bewusstseinsbildenden Dreamteams bezeichnet.
Tatsächlich habe ich jetzt ein Problem. Kaum jemand würde mir folgen wollen, wenn ich einem heutigen ChatBot ein Bewusstsein zuspräche. Nach meiner Aussage oben müsste ich das aber. Habe ich etwas übersehen? Einen weiteren Anteil des Dreamteams etwa? Was könnte das sein? Vielleicht doch etwas Übernatürliches wie eine Seele?
Nein, ich glaube, das Dreamteam ist komplett. Das Problem liegt in der Art des Denkens. Was der ChatBot denkt, ist nicht sehr viel. Er nimmt seine Erinnerungen und verwendet sie als Input für sein neuronales Netzwerk, das dann den Textoutput ausspuckt. Das ist alles. Ich würde das nicht einmal als intelligent bezeichnen. Das Denken aber, das unser menschliches Bewusstsein ausmacht, lebt von seiner Komplexität. Das menschliche Denken ist von Computern, auch ChatBots, bisher unerreicht. Es jongliert mühelos mit geistigen Konzepten und Konstrukten, berücksichtigt Emotionen und Gefühle und hantiert mit vielen parallelen Sinneskanälen. Diese Fülle steht einem ChatBot nicht zur Verfügung, sein Denken bleibt sehr platt und eindimensional. Somit ist er nicht in der Lage, das Gechattete auch nur annähernd zu verstehen oder sogar gründlich zu durchdenken. Und das beschränkt ganz wesentlich sein Bewusstsein, und zwar so weit, dass man es noch kaum eines nennen kann.
Hätte ein ChatBot ein Bewusstsein, dann wäre der reine ChatBot-Anteil dieser Software verschwindend gering. Viel komplexer wäre sein Denken und die Intelligenz seines fremden Beobachters mit der Lupe. Dieser würde über dem Chatbot schweben, all seine Eingaben und Ausgaben registrieren, speichern und – das Wichtigste – verarbeiten und darüber nachdenken. Er würde „verstehen“, d.h. Konzepte kennen und auseinanderhalten (Farben, Formen, Musik, Liebe, …), er könnte logisch denken und kausale Schlüsse ziehen. Wenn er dies alles und noch viel mehr beherrscht, kann er das Verhalten des ChatBots nachhaltig beeinflussen und in seinen Fähigkeiten wachsen. Er wird auch darüber sprechen können, warum er dies macht und jenes lässt, wird seine Wahrnehmungen reflektieren können – und dann erst werden wir das Gefühl haben, dass er ein Bewusstsein hat wie wir. An diesem Punkt ist die KI-Forschung aber längst noch nicht. Zurzeit sind dies noch rein theoretische Überlegungen.
Was ist der Unterschied zwischen Farbe und Form?
[…] (ein durchaus sinnvoller Sermon über die Konzepte Farbe und Form)
Zusammengefasst: Farbe bezieht sich auf die visuelle Wahrnehmung von Lichtwellen, während Form die physische Gestalt oder Struktur eines Objekts beschreibt.
Ich und ChatGPT
Aber muss Bewusstsein immer genau so ein Bewusstsein wie unseres sein? Vielleicht können wir einfacher beginnen. Momentan bauen wir Menschen künstliche Intelligenz, die ziemlich „mechanisch“ menschliches Können nachahmt, dann aber oft genug auch übertrifft: So ahmt sie als ChatBot etwa das Sprechen nach, momentan noch eher wie ein Papagei. Nein, nicht einmal wie ein Papagei, denn dieser hat ja, wie oben erwähnt, sogar Kenntnis über Konzepte wie Farbe oder Form. Der Papagei weiß, was Farbe und Form bedeuten und kann dieses Wissen auf seine optische Wahrnehmung übertragen. Dem ChatBot dagegen fehlt das Optische ganz, er hat gar keine Chance, Form oder Farbe jemals wahrzunehmen oder mit der realen Welt zu verknüpfen. Aber er hat deutlich mehr über Formen und Farben gelesen, als ein Papagei je darüber gehört hat, und das macht ihn durchaus kompetent – im engen Rahmen dessen, was sprachlich über Farben und Formen gesagt werden kann. Das macht ihn in ganz engen Grenzen intelligent – innerhalb einer (rein sprachlich erschaffenen und anwendbaren) Inselbegabung. Und – zumindest nach meiner Definition – macht ihn das auch bewusst: mit einem Inselbewusstsein.
Jede KI kann eine bestimmte Sache, oft schon besser als wir. Was Maschinen noch fehlt, ist die breite Fläche an Fähigkeiten. Ich glaube nicht, dass für ein künstliches Bewusstsein etwas grundsätzlich Neues erfunden werden muss. Es scheint mir, als reiche es, bisherige Inselbegabungen zusammenzufügen und miteinander zu vernetzen. Auch wir Menschen erzeugen verschiedene Fähigkeiten schließlich in verschiedenen Zentren im Hirn, die ebenfalls sehr stark miteinander vernetzt sind und uns gemeinsam zu einem Bewusstsein verhelfen. So findet das Erdenken eines gesprochenen Satzes im Sprachzentrum statt, das Beurteilen von Konzepten wie Form oder Farbe, von denen dieser gesprochene Satz handeln soll, wohl eher in optisch kompetenten Hirnbereichen. Die vielen Inselbewusstseine der Maschinen werden ebenso gemeinsam dazu führen, dass das Verhalten einer KI nicht mehr von dem eines Menschen unterscheidbar ist. Wir werden dann keinen Grund mehr haben, diesem „Wesen“ ein Bewusstsein abzusprechen (und es dann Wesen zu nennen). Sachliche Argumente wird es dann jedenfalls nicht mehr geben. Alles also nur eine Frage der Zeit.
Wenn es dann einmal so weit gekommen ist, werden es die künstlichen Intelligenzen sein, die ihrerseits fragen: Muss Bewusstsein immer genau so ein Bewusstsein wie unseres sein? Vielleicht können wir uns auch viel komplizierter entwickeln. Dann werden komplexere Bewusstseine entstehen. Sie werden dem unseren überlegen sein und sich ihrerseits fragen, ob wir Menschen überhaupt ein Bewusstsein haben (mit unserer begrenzten Speicher- und Intelligenzfähigkeit). Beispielhaft wird dieses Szenario übrigens im sehenswerten Kinofilm „Her“ dargestellt.
Was ist es, das uns zu bewussten Wesen macht? Eine schwere Frage, denn es ist schwer, sein Bewusstsein auf das eigene Bewusstsein zu richten. Ich habe es hier versucht und meine, dass unser Bewusstsein aus zwei Dingen besteht, die nur zusammen einen Wert haben: das Denken und das Gedächtnis. Denken ohne Gedächtnis, Gedächtnis ohne Denken – beides allein bewirkt nichts auf der Welt, nicht für die Umwelt und nicht für das Individuum. Gemeinsam aber bilden Denken und Gedächtnis das Dreamteam, das ein Bewusstsein erzeugt und intelligentes Handeln ebenso wie unsere Ich-Erkenntnis liefert. Ein Faktor für die Komplexität des Bewusstseins ist die Bandbreite der Wahrnehmungen, aus denen Erinnerungen gebildet werden, in denen das Denken „rühren“ kann. Dies hat direkten Einfluss auf die Entwicklung der Denkfähigkeit, woraus wiederum ein komplexeres Bewusstsein entstehen kann.
Nach meinen Überlegungen ist Bewusstsein nichts weiter als das gerade Beschriebene. An einen übergeordneten Geist oder eine Seele mag ich nicht glauben. Dies ist eine Entscheidung. Andere Menschen treffen diese Entscheidung anders. So gibt es nach wie vor Körper-Seele-Dualisten, zu denen ich mich aber nicht zähle. Aktuelle Hirnforschung scheint hierin auf meiner Seite zu stehen. Ein Beweis aber ist dies nicht. Somit ist das Folgende eher ein Glaubensbekenntnis:
Ich glaube, dass unser Bewusstsein einzig durch unseren Körper, insbesondere unser Hirn, gebildet wird. Etwas Übernatürliches wie eine unsterbliche Seele ist nicht Teil meines Weltbildes. Stirbt das Hirn, stirbt auch das Bewusstsein und ebenso unwiederbringlich das Ich. Mehr als das ist es nicht, auch wenn dies – sollte es denn wahr sein – für manche Menschen eine große Enttäuschung sein mag.
Wir Menschen müssen achtgeben, nicht beleidigt zu sein, wenn wir umdenken müssen und das ach so Besondere, das Heilige und Übernatürliche an unserem Bewusstsein fallen lassen müssen. Schon einmal haben wir umgedacht, denn den Tieren hat man lange kein Bewusstsein zugesprochen, weil es einfach nicht zu unserem selbst erstellten Label „Krone der Schöpfung“ und zum uralten Gedanken „Odem des Lebens“ passte. Das ändert sich gerade, aber nicht ohne trotzige Widerstände. Doch der nächste Schritt steht bereits an und wird die Maschinen betreffen. Heute gibt es noch kaum jemanden, der künstlicher Intelligenz ein Bewusstsein zugesteht. Doch je weiter die KI-Entwicklung fortschreitet und je mehr die Hirnforschung über die Vorgänge in unserem Bewusstsein weiß, desto weniger Unterschiede werden wir erkennen können zwischen uns und den intelligenten Maschinen. Wie heute bei den Tieren werden wir umdenken müssen. Das wird uns schwerfallen. Nicht umsonst schrieb ich oben, dass die Frage nach dem Bewusstsein vielleicht die eine große Frage ist.
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